alten Mannes, den sie noch obendrein lieben sollte. Er stand neben ihr, durchaus nicht wie der Bräu- tigam des hohen Liedes, der "in die Kammer tritt wie die Morgensonne." -- "Du hast nun genug geweint," sagte er verdrießlich; "bedenk, du bist es nicht, die mich glücklich macht, ich mache dich glück- lich!" -- Sie sah demüthig zu ihm auf, und schien zu fühlen, daß er Recht habe. -- Das Geschäft war beendigt; die junge Frau hatte ihrem Manne zugetrunken, junge Spaßvögel hatten durch den Dreifuß geschaut, ob die Binde gerade sitze, und man drängte sich wieder der Tenne zu, von wo unauslöschliches Gelächter und Lärm herüberschallte. Friedrich war nicht mehr dort. Eine große, uner- trägliche Schmach hatte ihn getroffen, da der Jude Aaron, ein Schlächter und gelegentlicher Althändler aus dem nächsten Städtchen, plötzlich erschienen war, und nach einem kurzen, unbefriedigenden Zwiegespräch ihn laut vor allen Leuten um den Betrag von zehn Thalern für eine schon um Ostern gelieferte Uhr gemahnt hatte. Friedrich war wie vernichtet fortgegangen und der Jude ihm gefolgt, immer schreiend: "O weh mir! warum hab' ich nicht gehört auf vernünftige Leute! Haben sie mir nicht hun- dertmal gesagt, Ihr hättet all Eu'r Gut am Leibe und kein Brod im Schranke!" -- Die Tenne tobte von Gelächter; manche hatten sich auf den Hof
alten Mannes, den ſie noch obendrein lieben ſollte. Er ſtand neben ihr, durchaus nicht wie der Bräu- tigam des hohen Liedes, der „in die Kammer tritt wie die Morgenſonne.“ — „Du haſt nun genug geweint,“ ſagte er verdrießlich; „bedenk, du biſt es nicht, die mich glücklich macht, ich mache dich glück- lich!“ — Sie ſah demüthig zu ihm auf, und ſchien zu fühlen, daß er Recht habe. — Das Geſchäft war beendigt; die junge Frau hatte ihrem Manne zugetrunken, junge Spaßvögel hatten durch den Dreifuß geſchaut, ob die Binde gerade ſitze, und man drängte ſich wieder der Tenne zu, von wo unauslöſchliches Gelächter und Lärm herüberſchallte. Friedrich war nicht mehr dort. Eine große, uner- trägliche Schmach hatte ihn getroffen, da der Jude Aaron, ein Schlächter und gelegentlicher Althändler aus dem nächſten Städtchen, plötzlich erſchienen war, und nach einem kurzen, unbefriedigenden Zwiegeſpräch ihn laut vor allen Leuten um den Betrag von zehn Thalern für eine ſchon um Oſtern gelieferte Uhr gemahnt hatte. Friedrich war wie vernichtet fortgegangen und der Jude ihm gefolgt, immer ſchreiend: „O weh mir! warum hab’ ich nicht gehört auf vernünftige Leute! Haben ſie mir nicht hun- dertmal geſagt, Ihr hättet all Eu’r Gut am Leibe und kein Brod im Schranke!“ — Die Tenne tobte von Gelächter; manche hatten ſich auf den Hof
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alten Mannes, den ſie noch obendrein lieben ſollte.
Er ſtand neben ihr, durchaus nicht wie der Bräu-
tigam des hohen Liedes, der „in die Kammer tritt
wie die Morgenſonne.“ — „Du haſt nun genug
geweint,“ ſagte er verdrießlich; „bedenk, du biſt es
nicht, die mich glücklich macht, ich mache dich glück-
lich!“ — Sie ſah demüthig zu ihm auf, und ſchien
zu fühlen, daß er Recht habe. — Das Geſchäft
war beendigt; die junge Frau hatte ihrem Manne
zugetrunken, junge Spaßvögel hatten durch den
Dreifuß geſchaut, ob die Binde gerade ſitze, und
man drängte ſich wieder der Tenne zu, von wo
unauslöſchliches Gelächter und Lärm herüberſchallte.
Friedrich war nicht mehr dort. Eine große, uner-
trägliche Schmach hatte ihn getroffen, da der Jude
Aaron, ein Schlächter und gelegentlicher Althändler
aus dem nächſten Städtchen, plötzlich erſchienen war,
und nach einem kurzen, unbefriedigenden Zwiegeſpräch
ihn laut vor allen Leuten um den Betrag von
zehn Thalern für eine ſchon um Oſtern gelieferte
Uhr gemahnt hatte. Friedrich war wie vernichtet
fortgegangen und der Jude ihm gefolgt, immer
ſchreiend: „O weh mir! warum hab’ ich nicht gehört
auf vernünftige Leute! Haben ſie mir nicht hun-
dertmal geſagt, Ihr hättet all Eu’r Gut am Leibe
und kein Brod im Schranke!“ — Die Tenne tobte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/215>, abgerufen am 23.11.2024.
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