mehr gefürchtete Tücke ein gewisses Uebergewicht im Dorfe erlangt hatte, das um so mehr anerkannt wurde, je mehr man sich bewußt war, ihn nicht zu kennen und nicht berechnen zu können, wessen er am Ende fähig sei. Nur ein Bursch im Dorfe, Wilm Hülsmeyer, wagte im Bewußtsein seiner Kraft und guter Verhältnisse ihm die Spitze zu bieten; und da er gewandter in Worten war, als Friedrich, und immer, wenn der Stachel saß, einen Scherz daraus zu machen wußte, so war dies der Einzige, mit dem Friedrich ungern zusammentraf.
Vier Jahre waren verflossen; es war im Oc- tober; der milde Herbst von 1760, der alle Scheunen mit Korn und alle Keller mit Wein füllte, hatte seinen Reichthum auch über diesen Erdwinkel strömen lassen, und man sah mehr Betrunkene, hörte von mehr Schlägereien und dummen Streichen, als je. Ueberall gab's Lustbarkeiten; der blaue Montag kam in Aufnahme, und wer ein paar Thaler erübrigt hatte, wollte gleich eine Frau dazu, die ihm heute essen und morgen hungern helfen könne. Da gab es im Dorfe eine tüchtige, solide Hochzeit, und die Gäste durften mehr erwarten, als eine verstimmte Geige, ein Glas Branntwein und was sie an guter Laune selber mitbrachten. Seit früh war Alles auf den Beinen; vor jeder Thüre wurden Kleider ge- lüftet, und B. glich den ganzen Tag einer Trödel-
mehr gefürchtete Tücke ein gewiſſes Uebergewicht im Dorfe erlangt hatte, das um ſo mehr anerkannt wurde, je mehr man ſich bewußt war, ihn nicht zu kennen und nicht berechnen zu können, weſſen er am Ende fähig ſei. Nur ein Burſch im Dorfe, Wilm Hülsmeyer, wagte im Bewußtſein ſeiner Kraft und guter Verhältniſſe ihm die Spitze zu bieten; und da er gewandter in Worten war, als Friedrich, und immer, wenn der Stachel ſaß, einen Scherz daraus zu machen wußte, ſo war dies der Einzige, mit dem Friedrich ungern zuſammentraf.
Vier Jahre waren verfloſſen; es war im Oc- tober; der milde Herbſt von 1760, der alle Scheunen mit Korn und alle Keller mit Wein füllte, hatte ſeinen Reichthum auch über dieſen Erdwinkel ſtrömen laſſen, und man ſah mehr Betrunkene, hörte von mehr Schlägereien und dummen Streichen, als je. Ueberall gab’s Luſtbarkeiten; der blaue Montag kam in Aufnahme, und wer ein paar Thaler erübrigt hatte, wollte gleich eine Frau dazu, die ihm heute eſſen und morgen hungern helfen könne. Da gab es im Dorfe eine tüchtige, ſolide Hochzeit, und die Gäſte durften mehr erwarten, als eine verſtimmte Geige, ein Glas Branntwein und was ſie an guter Laune ſelber mitbrachten. Seit früh war Alles auf den Beinen; vor jeder Thüre wurden Kleider ge- lüftet, und B. glich den ganzen Tag einer Trödel-
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mehr gefürchtete Tücke ein gewiſſes Uebergewicht im
Dorfe erlangt hatte, das um ſo mehr anerkannt
wurde, je mehr man ſich bewußt war, ihn nicht zu
kennen und nicht berechnen zu können, weſſen er
am Ende fähig ſei. Nur ein Burſch im Dorfe,
Wilm Hülsmeyer, wagte im Bewußtſein ſeiner Kraft
und guter Verhältniſſe ihm die Spitze zu bieten;
und da er gewandter in Worten war, als Friedrich,
und immer, wenn der Stachel ſaß, einen Scherz
daraus zu machen wußte, ſo war dies der Einzige,
mit dem Friedrich ungern zuſammentraf.
Vier Jahre waren verfloſſen; es war im Oc-
tober; der milde Herbſt von 1760, der alle Scheunen
mit Korn und alle Keller mit Wein füllte, hatte
ſeinen Reichthum auch über dieſen Erdwinkel ſtrömen
laſſen, und man ſah mehr Betrunkene, hörte von
mehr Schlägereien und dummen Streichen, als je.
Ueberall gab’s Luſtbarkeiten; der blaue Montag kam
in Aufnahme, und wer ein paar Thaler erübrigt
hatte, wollte gleich eine Frau dazu, die ihm heute
eſſen und morgen hungern helfen könne. Da gab
es im Dorfe eine tüchtige, ſolide Hochzeit, und die
Gäſte durften mehr erwarten, als eine verſtimmte
Geige, ein Glas Branntwein und was ſie an guter
Laune ſelber mitbrachten. Seit früh war Alles auf
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/210>, abgerufen am 23.11.2024.
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