Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Sims liegen und er hoffte, es mit Hülfe des
schwachen Mondlichtes zu finden; es war nicht da.
Er warf die Augen suchend umher und fuhr zu-
sammen; in der Kammerthür stand Simon, fast
unbekleidet, seine dürre Gestalt, sein ungekämmtes,
wirres Haar und die vom Mondschein verursachte
Blässe des Gesichts gaben ihm ein schauerlich ver-
ändertes Ansehen. "Sollte er nachtwandeln?"
dachte Friedrich, und verhielt sich ganz still. --
"Friedrich, wohin?" flüsterte der Alte. -- "Ohm,
seid Ihr's? ich will beichten gehen." -- "Das
dacht ich mir; geh' in Gottes Namen, aber beichte
wie ein guter Christ." -- "Das will ich," sagte
Friedrich. -- "Denk an die zehn Gebote: du sollst
kein Zeugniß ablegen gegen deinen Nächsten." --
"Kein falsches!" -- "Nein, gar keines; du bist
schlecht unterrichtet; wer einen andern in der Beichte
anklagt, der empfängt das Sakrament unwürdig."

Beide schwiegen. -- "Ohm, wie kommt Ihr
darauf?" sagte Friedrich dann; "Eu'r Gewissen ist
nicht rein; Ihr habt mich belogen." -- "Ich?
so?" -- "Wo ist Eure Axt?" -- "Meine Axt?
auf der Tenne." -- "Habt Ihr einen neuen Stiel
hinein gemacht? wo ist der alte?" -- "Den kannst
du heute bei Tage im Holzschuppen finden."

"Geh," fuhr er verächtlich fort, "ich dachte
du seiest ein Mann; aber du bist ein altes Weib,

Sims liegen und er hoffte, es mit Hülfe des
ſchwachen Mondlichtes zu finden; es war nicht da.
Er warf die Augen ſuchend umher und fuhr zu-
ſammen; in der Kammerthür ſtand Simon, faſt
unbekleidet, ſeine dürre Geſtalt, ſein ungekämmtes,
wirres Haar und die vom Mondſchein verurſachte
Bläſſe des Geſichts gaben ihm ein ſchauerlich ver-
ändertes Anſehen. „Sollte er nachtwandeln?“
dachte Friedrich, und verhielt ſich ganz ſtill. —
„Friedrich, wohin?“ flüſterte der Alte. — „Ohm,
ſeid Ihr’s? ich will beichten gehen.“ — „Das
dacht ich mir; geh’ in Gottes Namen, aber beichte
wie ein guter Chriſt.“ — „Das will ich,“ ſagte
Friedrich. — „Denk an die zehn Gebote: du ſollſt
kein Zeugniß ablegen gegen deinen Nächſten.“ —
„Kein falſches!“ — „Nein, gar keines; du biſt
ſchlecht unterrichtet; wer einen andern in der Beichte
anklagt, der empfängt das Sakrament unwürdig.“

Beide ſchwiegen. — „Ohm, wie kommt Ihr
darauf?“ ſagte Friedrich dann; „Eu’r Gewiſſen iſt
nicht rein; Ihr habt mich belogen.“ — „Ich?
ſo?“ — „Wo iſt Eure Axt?“ — „Meine Axt?
auf der Tenne.“ — „Habt Ihr einen neuen Stiel
hinein gemacht? wo iſt der alte?“ — „Den kannſt
du heute bei Tage im Holzſchuppen finden.“

„Geh,“ fuhr er verächtlich fort, „ich dachte
du ſeieſt ein Mann; aber du biſt ein altes Weib,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0207" n="191"/>
Sims liegen und er hoffte, es mit Hülfe des<lb/>
&#x017F;chwachen Mondlichtes zu finden; es war nicht da.<lb/>
Er warf die Augen &#x017F;uchend umher und fuhr zu-<lb/>
&#x017F;ammen; in der Kammerthür &#x017F;tand Simon, fa&#x017F;t<lb/>
unbekleidet, &#x017F;eine dürre Ge&#x017F;talt, &#x017F;ein ungekämmtes,<lb/>
wirres Haar und die vom Mond&#x017F;chein verur&#x017F;achte<lb/>
Blä&#x017F;&#x017F;e des Ge&#x017F;ichts gaben ihm ein &#x017F;chauerlich ver-<lb/>
ändertes An&#x017F;ehen. &#x201E;Sollte er nachtwandeln?&#x201C;<lb/>
dachte Friedrich, und verhielt &#x017F;ich ganz &#x017F;till. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Friedrich, wohin?&#x201C; flü&#x017F;terte der Alte. &#x2014; &#x201E;Ohm,<lb/>
&#x017F;eid Ihr&#x2019;s? ich will beichten gehen.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Das<lb/>
dacht ich mir; geh&#x2019; in Gottes Namen, aber beichte<lb/>
wie ein guter Chri&#x017F;t.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Das will ich,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
Friedrich. &#x2014; &#x201E;Denk an die zehn Gebote: du &#x017F;oll&#x017F;t<lb/>
kein Zeugniß ablegen gegen deinen Näch&#x017F;ten.&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Kein fal&#x017F;ches!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Nein, gar keines; du bi&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chlecht unterrichtet; wer einen andern in der Beichte<lb/>
anklagt, der empfängt das Sakrament unwürdig.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Beide &#x017F;chwiegen. &#x2014; &#x201E;Ohm, wie kommt Ihr<lb/>
darauf?&#x201C; &#x017F;agte Friedrich dann; &#x201E;Eu&#x2019;r Gewi&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t<lb/>
nicht rein; Ihr habt mich belogen.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Ich?<lb/>
&#x017F;o?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Wo i&#x017F;t Eure Axt?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Meine Axt?<lb/>
auf der Tenne.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Habt Ihr einen neuen Stiel<lb/>
hinein gemacht? wo i&#x017F;t der alte?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Den kann&#x017F;t<lb/>
du heute bei Tage im Holz&#x017F;chuppen finden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Geh,&#x201C; fuhr er verächtlich fort, &#x201E;ich dachte<lb/>
du &#x017F;eie&#x017F;t ein Mann; aber du bi&#x017F;t ein altes Weib,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0207] Sims liegen und er hoffte, es mit Hülfe des ſchwachen Mondlichtes zu finden; es war nicht da. Er warf die Augen ſuchend umher und fuhr zu- ſammen; in der Kammerthür ſtand Simon, faſt unbekleidet, ſeine dürre Geſtalt, ſein ungekämmtes, wirres Haar und die vom Mondſchein verurſachte Bläſſe des Geſichts gaben ihm ein ſchauerlich ver- ändertes Anſehen. „Sollte er nachtwandeln?“ dachte Friedrich, und verhielt ſich ganz ſtill. — „Friedrich, wohin?“ flüſterte der Alte. — „Ohm, ſeid Ihr’s? ich will beichten gehen.“ — „Das dacht ich mir; geh’ in Gottes Namen, aber beichte wie ein guter Chriſt.“ — „Das will ich,“ ſagte Friedrich. — „Denk an die zehn Gebote: du ſollſt kein Zeugniß ablegen gegen deinen Nächſten.“ — „Kein falſches!“ — „Nein, gar keines; du biſt ſchlecht unterrichtet; wer einen andern in der Beichte anklagt, der empfängt das Sakrament unwürdig.“ Beide ſchwiegen. — „Ohm, wie kommt Ihr darauf?“ ſagte Friedrich dann; „Eu’r Gewiſſen iſt nicht rein; Ihr habt mich belogen.“ — „Ich? ſo?“ — „Wo iſt Eure Axt?“ — „Meine Axt? auf der Tenne.“ — „Habt Ihr einen neuen Stiel hinein gemacht? wo iſt der alte?“ — „Den kannſt du heute bei Tage im Holzſchuppen finden.“ „Geh,“ fuhr er verächtlich fort, „ich dachte du ſeieſt ein Mann; aber du biſt ein altes Weib,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/207
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/207>, abgerufen am 23.11.2024.