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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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Dorf B. freisprechen mußte. Ein Zufall hatte
dies bewirkt, eine Hochzeit, auf der fast alle Be-
wohner dieses Dorfes notorisch die Nacht zugebracht
hatten, während zu eben dieser Zeit die Blaukittel
eine ihrer stärksten Expeditionen ausführten.

Der Schaden in den Forsten war indeß all-
zugroß, deshalb wurden die Maßregeln dagegen
auf eine bisher unerhörte Weise gesteigert; Tag
und Nacht wurde patrouillirt, Oberknechte, Haus-
bediente mit Gewehren versehen und den Forstbeamten
zugesellt. Dennoch war der Erfolg nur gering und
die Wächter hatten oft kaum das eine Ende des
Forstes verlassen, wenn die Blaukittel schon zum
andern einzogen. Das währte länger als ein
volles Jahr, Wächter und Blaukittel, Blaukittel
und Wächter, wie Sonne und Mond, immer ab-
wechselnd im Besitz des Terrains und nie zu-
sammentreffend.

Es war im Juli 1756 früh um drei Uhr;
der Mond stand klar am Himmel, aber sein Glanz
fing an zu ermatten und im Osten zeigte sich be-
reits ein schmaler gelber Streif, der den Horizont
besäumte und den Eingang einer engen Thalschlucht
wie mit einem Goldbande schloß. Friedrich lag im
Grase, nach seiner gewohnten Weise, und schnitzelte
an einem Weidenstabe, dessen knotigem Ende er die
Gestalt eines ungeschlachten Thieres zu geben ver-

Dorf B. freiſprechen mußte. Ein Zufall hatte
dies bewirkt, eine Hochzeit, auf der faſt alle Be-
wohner dieſes Dorfes notoriſch die Nacht zugebracht
hatten, während zu eben dieſer Zeit die Blaukittel
eine ihrer ſtärkſten Expeditionen ausführten.

Der Schaden in den Forſten war indeß all-
zugroß, deshalb wurden die Maßregeln dagegen
auf eine bisher unerhörte Weiſe geſteigert; Tag
und Nacht wurde patrouillirt, Oberknechte, Haus-
bediente mit Gewehren verſehen und den Forſtbeamten
zugeſellt. Dennoch war der Erfolg nur gering und
die Wächter hatten oft kaum das eine Ende des
Forſtes verlaſſen, wenn die Blaukittel ſchon zum
andern einzogen. Das währte länger als ein
volles Jahr, Wächter und Blaukittel, Blaukittel
und Wächter, wie Sonne und Mond, immer ab-
wechſelnd im Beſitz des Terrains und nie zu-
ſammentreffend.

Es war im Juli 1756 früh um drei Uhr;
der Mond ſtand klar am Himmel, aber ſein Glanz
fing an zu ermatten und im Oſten zeigte ſich be-
reits ein ſchmaler gelber Streif, der den Horizont
beſäumte und den Eingang einer engen Thalſchlucht
wie mit einem Goldbande ſchloß. Friedrich lag im
Graſe, nach ſeiner gewohnten Weiſe, und ſchnitzelte
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[175/0191] Dorf B. freiſprechen mußte. Ein Zufall hatte dies bewirkt, eine Hochzeit, auf der faſt alle Be- wohner dieſes Dorfes notoriſch die Nacht zugebracht hatten, während zu eben dieſer Zeit die Blaukittel eine ihrer ſtärkſten Expeditionen ausführten. Der Schaden in den Forſten war indeß all- zugroß, deshalb wurden die Maßregeln dagegen auf eine bisher unerhörte Weiſe geſteigert; Tag und Nacht wurde patrouillirt, Oberknechte, Haus- bediente mit Gewehren verſehen und den Forſtbeamten zugeſellt. Dennoch war der Erfolg nur gering und die Wächter hatten oft kaum das eine Ende des Forſtes verlaſſen, wenn die Blaukittel ſchon zum andern einzogen. Das währte länger als ein volles Jahr, Wächter und Blaukittel, Blaukittel und Wächter, wie Sonne und Mond, immer ab- wechſelnd im Beſitz des Terrains und nie zu- ſammentreffend. Es war im Juli 1756 früh um drei Uhr; der Mond ſtand klar am Himmel, aber ſein Glanz fing an zu ermatten und im Oſten zeigte ſich be- reits ein ſchmaler gelber Streif, der den Horizont beſäumte und den Eingang einer engen Thalſchlucht wie mit einem Goldbande ſchloß. Friedrich lag im Graſe, nach ſeiner gewohnten Weiſe, und ſchnitzelte an einem Weidenſtabe, deſſen knotigem Ende er die Geſtalt eines ungeſchlachten Thieres zu geben ver-

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/191>, abgerufen am 23.11.2024.