sich, stach auch einmal mit seinem Messerchen und wurde bei dieser Gelegenheit jämmerlich geprügelt. Seitdem trieb er seiner Mutter Kühe allein an das andere Ende des Thales, wo man ihn oft Stun- den lang in derselben Stellung im Grase liegen und den Thymian aus dem Boden rupfen sah.
Er war 12 Jahre alt, als seine Mutter einen Besuch von ihrem jüngeren Bruder erhielt, der in Brede wohnte und seit der thörichten Heirath seiner Schwester ihre Schwelle nicht betreten hatte.
Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger, magerer Mann mit vor dem Kopf liegenden Fisch- augen und überhaupt einem Gesicht wie ein Hecht, ein unheimlicher Geselle, bei dem dickthuende Ver- schlossenheit oft mit eben so gesuchter Treuherzigkeit wechselte, der gern einen aufgeklärten Kopf vorge- stellt hätte und statt dessen für einen fatalen, Händel suchenden Kerl galt, dem Jeder um so lieber aus dem Wege ging, je mehr er in das Alter trat, wo ohnehin beschränkte Menschen leicht an Ansprüchen gewinnen, was sie an Brauchbarkeit verlieren. Dennoch freute sich die arme Margareth, die sonst keinen der Ihrigen mehr am Leben hatte.
"Simon, bist du da?" sagte sie, und zitterte, daß sie sich am Stuhle halten mußte. "Willst du sehen, wie es mir geht und meinem schmutzigen Jungen?" -- Simon betrachtete sie ernst und
ſich, ſtach auch einmal mit ſeinem Meſſerchen und wurde bei dieſer Gelegenheit jämmerlich geprügelt. Seitdem trieb er ſeiner Mutter Kühe allein an das andere Ende des Thales, wo man ihn oft Stun- den lang in derſelben Stellung im Graſe liegen und den Thymian aus dem Boden rupfen ſah.
Er war 12 Jahre alt, als ſeine Mutter einen Beſuch von ihrem jüngeren Bruder erhielt, der in Brede wohnte und ſeit der thörichten Heirath ſeiner Schweſter ihre Schwelle nicht betreten hatte.
Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger, magerer Mann mit vor dem Kopf liegenden Fiſch- augen und überhaupt einem Geſicht wie ein Hecht, ein unheimlicher Geſelle, bei dem dickthuende Ver- ſchloſſenheit oft mit eben ſo geſuchter Treuherzigkeit wechſelte, der gern einen aufgeklärten Kopf vorge- ſtellt hätte und ſtatt deſſen für einen fatalen, Händel ſuchenden Kerl galt, dem Jeder um ſo lieber aus dem Wege ging, je mehr er in das Alter trat, wo ohnehin beſchränkte Menſchen leicht an Anſprüchen gewinnen, was ſie an Brauchbarkeit verlieren. Dennoch freute ſich die arme Margareth, die ſonſt keinen der Ihrigen mehr am Leben hatte.
„Simon, biſt du da?“ ſagte ſie, und zitterte, daß ſie ſich am Stuhle halten mußte. „Willſt du ſehen, wie es mir geht und meinem ſchmutzigen Jungen?“ — Simon betrachtete ſie ernſt und
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ſich, ſtach auch einmal mit ſeinem Meſſerchen und
wurde bei dieſer Gelegenheit jämmerlich geprügelt.
Seitdem trieb er ſeiner Mutter Kühe allein an das
andere Ende des Thales, wo man ihn oft Stun-
den lang in derſelben Stellung im Graſe liegen
und den Thymian aus dem Boden rupfen ſah.
Er war 12 Jahre alt, als ſeine Mutter einen
Beſuch von ihrem jüngeren Bruder erhielt, der in
Brede wohnte und ſeit der thörichten Heirath ſeiner
Schweſter ihre Schwelle nicht betreten hatte.
Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger,
magerer Mann mit vor dem Kopf liegenden Fiſch-
augen und überhaupt einem Geſicht wie ein Hecht,
ein unheimlicher Geſelle, bei dem dickthuende Ver-
ſchloſſenheit oft mit eben ſo geſuchter Treuherzigkeit
wechſelte, der gern einen aufgeklärten Kopf vorge-
ſtellt hätte und ſtatt deſſen für einen fatalen, Händel
ſuchenden Kerl galt, dem Jeder um ſo lieber aus
dem Wege ging, je mehr er in das Alter trat, wo
ohnehin beſchränkte Menſchen leicht an Anſprüchen
gewinnen, was ſie an Brauchbarkeit verlieren.
Dennoch freute ſich die arme Margareth, die ſonſt
keinen der Ihrigen mehr am Leben hatte.
„Simon, biſt du da?“ ſagte ſie, und zitterte,
daß ſie ſich am Stuhle halten mußte. „Willſt du
ſehen, wie es mir geht und meinem ſchmutzigen
Jungen?“ — Simon betrachtete ſie ernſt und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/174>, abgerufen am 16.07.2024.
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