seine gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen Umstände des jetzigen Besitzers bezeugte. Das frühere Geländer um Hof und Garten war einem vernachlässig- ten Zaune gewichen, das Dach schadhaft, fremdes Vieh weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs auf dem Acker zunächst am Hofe, und der Garten enthielt, außer ein paar holzigten Rosenstöcken aus besserer Zeit, mehr Unkraut als Kraut. Freilich hatten Unglücksfälle manches hiervon herbeigeführt; doch war auch viel Unordnung und böse Wirthschaft im Spiel. Friedrichs Vater, der alte Hermann Mergel, war in seinem Junggesellenstande ein sogenannter ordentlicher Säufer, d. h. einer, der nur an Sonn- und Festtagen in der Rinne lag und die Woche hindurch so manierlich war wie ein Anderer. So war denn auch seine Bewerbung um ein recht hübsches und wohlhabendes Mädchen ihm nicht erschwert. Auf der Hochzeit giengs lustig zu. Mergel war nicht gar zu arg betrunken, und die Eltern der Braut giengen Abends vergnügt heim; aber am nächsten Sonntage sah man die junge Frau schreiend und blutrünstig durchs Dorf zu den Ihrigen rennen, alle ihrer guten Kleider und neues Hausgeräth im Stich lassend. Das war freilich ein großer Skandal und Aerger für Mergel, der allerdings Trostes bedurfte. So war denn auch am Nachmittage keine Scheibe an seinem Hause
ſeine gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen Umſtände des jetzigen Beſitzers bezeugte. Das frühere Geländer um Hof und Garten war einem vernachläſſig- ten Zaune gewichen, das Dach ſchadhaft, fremdes Vieh weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs auf dem Acker zunächſt am Hofe, und der Garten enthielt, außer ein paar holzigten Roſenſtöcken aus beſſerer Zeit, mehr Unkraut als Kraut. Freilich hatten Unglücksfälle manches hiervon herbeigeführt; doch war auch viel Unordnung und böſe Wirthſchaft im Spiel. Friedrichs Vater, der alte Hermann Mergel, war in ſeinem Junggeſellenſtande ein ſogenannter ordentlicher Säufer, d. h. einer, der nur an Sonn- und Feſttagen in der Rinne lag und die Woche hindurch ſo manierlich war wie ein Anderer. So war denn auch ſeine Bewerbung um ein recht hübſches und wohlhabendes Mädchen ihm nicht erſchwert. Auf der Hochzeit giengs luſtig zu. Mergel war nicht gar zu arg betrunken, und die Eltern der Braut giengen Abends vergnügt heim; aber am nächſten Sonntage ſah man die junge Frau ſchreiend und blutrünſtig durchs Dorf zu den Ihrigen rennen, alle ihrer guten Kleider und neues Hausgeräth im Stich laſſend. Das war freilich ein großer Skandal und Aerger für Mergel, der allerdings Troſtes bedurfte. So war denn auch am Nachmittage keine Scheibe an ſeinem Hauſe
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ſeine gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen
Umſtände des jetzigen Beſitzers bezeugte. Das frühere
Geländer um Hof und Garten war einem vernachläſſig-
ten Zaune gewichen, das Dach ſchadhaft, fremdes Vieh
weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs auf
dem Acker zunächſt am Hofe, und der Garten enthielt,
außer ein paar holzigten Roſenſtöcken aus beſſerer
Zeit, mehr Unkraut als Kraut. Freilich hatten
Unglücksfälle manches hiervon herbeigeführt; doch
war auch viel Unordnung und böſe Wirthſchaft im
Spiel. Friedrichs Vater, der alte Hermann Mergel,
war in ſeinem Junggeſellenſtande ein ſogenannter
ordentlicher Säufer, d. h. einer, der nur an
Sonn- und Feſttagen in der Rinne lag und
die Woche hindurch ſo manierlich war wie ein
Anderer. So war denn auch ſeine Bewerbung
um ein recht hübſches und wohlhabendes Mädchen
ihm nicht erſchwert. Auf der Hochzeit giengs luſtig
zu. Mergel war nicht gar zu arg betrunken, und
die Eltern der Braut giengen Abends vergnügt
heim; aber am nächſten Sonntage ſah man die
junge Frau ſchreiend und blutrünſtig durchs Dorf
zu den Ihrigen rennen, alle ihrer guten Kleider und
neues Hausgeräth im Stich laſſend. Das war
freilich ein großer Skandal und Aerger für Mergel,
der allerdings Troſtes bedurfte. So war denn auch
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/165>, abgerufen am 23.11.2024.
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