Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.Die Mutter am Grabe. Du warst so hold und gut, so sanft und stille, Mein frommes Kind, und sterben mußtest du! Dein Geist, zu rein für diese Erdenhülle, Flog wie ein Lichtstrahl seiner Heimath zu. Wenn weinend wir an deinem Grabe stehen, Ich und dein Vater, deine Liebsten hier, Dann seh'n wir nur des Grabes dunkle Thür, Und können deine Seligkeit nicht sehen. O könnten einmal einer Mutter Blicke Nur dringen durch den unbekannten Raum, Dich seh'n in deinem unschuldsvollen Glücke, Und wär' es nur im Schlummer, nur im Traum, Dann würd' ich ruhig auf die Stelle schauen, Wo nur der Staub dem Staube sich gesellt, Doch abgeschlossen bleibt die Geisterwelt, Und nur der Glaube dringt in ihre Auen. Die Mutter am Grabe. Du warſt ſo hold und gut, ſo ſanft und ſtille, Mein frommes Kind, und ſterben mußteſt du! Dein Geiſt, zu rein für dieſe Erdenhülle, Flog wie ein Lichtſtrahl ſeiner Heimath zu. Wenn weinend wir an deinem Grabe ſtehen, Ich und dein Vater, deine Liebſten hier, Dann ſeh’n wir nur des Grabes dunkle Thür, Und können deine Seligkeit nicht ſehen. O könnten einmal einer Mutter Blicke Nur dringen durch den unbekannten Raum, Dich ſeh’n in deinem unſchuldsvollen Glücke, Und wär’ es nur im Schlummer, nur im Traum, Dann würd’ ich ruhig auf die Stelle ſchauen, Wo nur der Staub dem Staube ſich geſellt, Doch abgeſchloſſen bleibt die Geiſterwelt, Und nur der Glaube dringt in ihre Auen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0136" n="120"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Mutter am Grabe.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">D</hi>u warſt ſo hold und gut, ſo ſanft und ſtille,</l><lb/> <l>Mein frommes Kind, und ſterben mußteſt du!</l><lb/> <l>Dein Geiſt, zu rein für dieſe Erdenhülle,</l><lb/> <l>Flog wie ein Lichtſtrahl ſeiner Heimath zu.</l><lb/> <l>Wenn weinend wir an deinem Grabe ſtehen,</l><lb/> <l>Ich und dein Vater, deine Liebſten hier,</l><lb/> <l>Dann ſeh’n wir nur des Grabes dunkle Thür,</l><lb/> <l>Und können deine Seligkeit nicht ſehen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>O könnten einmal einer Mutter Blicke</l><lb/> <l>Nur dringen durch den unbekannten Raum,</l><lb/> <l>Dich ſeh’n in deinem unſchuldsvollen Glücke,</l><lb/> <l>Und wär’ es nur im Schlummer, nur im Traum,</l><lb/> <l>Dann würd’ ich ruhig auf die Stelle ſchauen,</l><lb/> <l>Wo nur der Staub dem Staube ſich geſellt,</l><lb/> <l>Doch abgeſchloſſen bleibt die Geiſterwelt,</l><lb/> <l>Und nur der Glaube dringt in ihre Auen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0136]
Die Mutter am Grabe.
Du warſt ſo hold und gut, ſo ſanft und ſtille,
Mein frommes Kind, und ſterben mußteſt du!
Dein Geiſt, zu rein für dieſe Erdenhülle,
Flog wie ein Lichtſtrahl ſeiner Heimath zu.
Wenn weinend wir an deinem Grabe ſtehen,
Ich und dein Vater, deine Liebſten hier,
Dann ſeh’n wir nur des Grabes dunkle Thür,
Und können deine Seligkeit nicht ſehen.
O könnten einmal einer Mutter Blicke
Nur dringen durch den unbekannten Raum,
Dich ſeh’n in deinem unſchuldsvollen Glücke,
Und wär’ es nur im Schlummer, nur im Traum,
Dann würd’ ich ruhig auf die Stelle ſchauen,
Wo nur der Staub dem Staube ſich geſellt,
Doch abgeſchloſſen bleibt die Geiſterwelt,
Und nur der Glaube dringt in ihre Auen.
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Zitationshilfe: | Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/136>, abgerufen am 16.07.2024. |