Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Simon: Trinkst du gern Branntwein? giebt dir die Mutter zuweilen welchen? -- Die Mutter hat selbst keinen, sagte Friedrich. -- So, so, desto besser! -- Kennst du das Holz da vor uns? -- Das ist das Brederholz. -- Weißt du auch, was darin vorgefallen ist? -- Friedrich schwieg. Indessen kamen sie der düstern Schlucht immer näher. Betet die Mutter noch so viel? hob Simon wieder an. -- Ja, jeden Abend zwei Rosenkränze. -- So? und du betest mit? -- Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seitenblick. -- Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz, dann bin ich noch nicht wieder da mit den Kühen, und den andern im Bette, dann schlaf ich gewöhnlich ein. -- So, so, Geselle! -- Diese letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche gesprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finster; das erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges Ansehen zu geben. Friedrich hielt sich dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer seine Züge hätte unterscheiden können, würde den Ausdruck einer ungeheuren, doch mehr phantastischen als furchtsamen Spannung darin wahrgenommen haben. So schritten Beide rüstig voran, Simon mit dem festen Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich schwankend und wie im Simon: Trinkst du gern Branntwein? giebt dir die Mutter zuweilen welchen? — Die Mutter hat selbst keinen, sagte Friedrich. — So, so, desto besser! — Kennst du das Holz da vor uns? — Das ist das Brederholz. — Weißt du auch, was darin vorgefallen ist? — Friedrich schwieg. Indessen kamen sie der düstern Schlucht immer näher. Betet die Mutter noch so viel? hob Simon wieder an. — Ja, jeden Abend zwei Rosenkränze. — So? und du betest mit? — Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seitenblick. — Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz, dann bin ich noch nicht wieder da mit den Kühen, und den andern im Bette, dann schlaf ich gewöhnlich ein. — So, so, Geselle! — Diese letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche gesprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finster; das erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges Ansehen zu geben. Friedrich hielt sich dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer seine Züge hätte unterscheiden können, würde den Ausdruck einer ungeheuren, doch mehr phantastischen als furchtsamen Spannung darin wahrgenommen haben. So schritten Beide rüstig voran, Simon mit dem festen Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich schwankend und wie im <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <p><pb facs="#f0023"/> Simon: Trinkst du gern Branntwein? giebt dir die Mutter zuweilen welchen? — Die Mutter hat selbst keinen, sagte Friedrich. — So, so, desto besser! — Kennst du das Holz da vor uns? — Das ist das Brederholz. — Weißt du auch, was darin vorgefallen ist? — Friedrich schwieg. Indessen kamen sie der düstern Schlucht immer näher.</p><lb/> <p>Betet die Mutter noch so viel? hob Simon wieder an. — Ja, jeden Abend zwei Rosenkränze. — So? und du betest mit? — Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seitenblick. — Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz, dann bin ich noch nicht wieder da mit den Kühen, und den andern im Bette, dann schlaf ich gewöhnlich ein. — So, so, Geselle! — Diese letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche gesprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finster; das erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges Ansehen zu geben. Friedrich hielt sich dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer seine Züge hätte unterscheiden können, würde den Ausdruck einer ungeheuren, doch mehr phantastischen als furchtsamen Spannung darin wahrgenommen haben. So schritten Beide rüstig voran, Simon mit dem festen Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich schwankend und wie im<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
Simon: Trinkst du gern Branntwein? giebt dir die Mutter zuweilen welchen? — Die Mutter hat selbst keinen, sagte Friedrich. — So, so, desto besser! — Kennst du das Holz da vor uns? — Das ist das Brederholz. — Weißt du auch, was darin vorgefallen ist? — Friedrich schwieg. Indessen kamen sie der düstern Schlucht immer näher.
Betet die Mutter noch so viel? hob Simon wieder an. — Ja, jeden Abend zwei Rosenkränze. — So? und du betest mit? — Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seitenblick. — Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz, dann bin ich noch nicht wieder da mit den Kühen, und den andern im Bette, dann schlaf ich gewöhnlich ein. — So, so, Geselle! — Diese letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche gesprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finster; das erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges Ansehen zu geben. Friedrich hielt sich dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer seine Züge hätte unterscheiden können, würde den Ausdruck einer ungeheuren, doch mehr phantastischen als furchtsamen Spannung darin wahrgenommen haben. So schritten Beide rüstig voran, Simon mit dem festen Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich schwankend und wie im
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Zitationshilfe: | Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/23>, abgerufen am 16.07.2024. |