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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Und Mord und Brand, und Brand und Mord
Im Ohre hallt es immerfort;
Wie fühlt sich ihr Gemüth beschwert!
Stellt sie die Sache Gott anheim?
Läßt sprießen des Verbrechens Keim?
Sucht sie zu hindern, wie's vermag
Ein machtlos Weib von ihrem Schlag?
So fallen, reulos, unbewehrt,
Von seines Untergebnen Hand!
Und schaudernd sie am Heerde stand
So jammervoll in ihrer Schöne,
Wie unterm Kreuze Magdalene.
Vielleicht gibt ihr die Kirche ein,
Was mag des Himmels Wille seyn.
Schon weicht dem Morgenroth die Nacht,
Laut wird das Vogelnest am Ast;
Sie kann schon gehn, der Bürger wacht;
Und ach! ihr dünkt, mit dieser Last
Wie Kain gemarkt von Gottes Hand,
Sie könne wandern durch das Land.
Fremd scheint es ihr, daß alles stumm,
Gesperrt die Läden rings herum.
Gottlob, die Kirche! Aber wie!
Weit auf die Pforten, schon so früh?
Und -- ist sie blind? -- der Ampel Licht,
Der Hochaltar -- sie sieht ihn nicht!
Es ist zu viel: ihr Auge schattet,
Und auf ein Grab sinkt sie ermattet.
Da über ihr Gezisch, Geknarr,
Die Uhr im Thurme mit Geschnarr

Und Mord und Brand, und Brand und Mord
Im Ohre hallt es immerfort;
Wie fühlt ſich ihr Gemüth beſchwert!
Stellt ſie die Sache Gott anheim?
Läßt ſprießen des Verbrechens Keim?
Sucht ſie zu hindern, wie's vermag
Ein machtlos Weib von ihrem Schlag?
So fallen, reulos, unbewehrt,
Von ſeines Untergebnen Hand!
Und ſchaudernd ſie am Heerde ſtand
So jammervoll in ihrer Schöne,
Wie unterm Kreuze Magdalene.
Vielleicht gibt ihr die Kirche ein,
Was mag des Himmels Wille ſeyn.
Schon weicht dem Morgenroth die Nacht,
Laut wird das Vogelneſt am Aſt;
Sie kann ſchon gehn, der Bürger wacht;
Und ach! ihr dünkt, mit dieſer Laſt
Wie Kain gemarkt von Gottes Hand,
Sie könne wandern durch das Land.
Fremd ſcheint es ihr, daß alles ſtumm,
Geſperrt die Läden rings herum.
Gottlob, die Kirche! Aber wie!
Weit auf die Pforten, ſchon ſo früh?
Und — iſt ſie blind? — der Ampel Licht,
Der Hochaltar — ſie ſieht ihn nicht!
Es iſt zu viel: ihr Auge ſchattet,
Und auf ein Grab ſinkt ſie ermattet.
Da über ihr Geziſch, Geknarr,
Die Uhr im Thurme mit Geſchnarr

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[516/0530] Und Mord und Brand, und Brand und Mord Im Ohre hallt es immerfort; Wie fühlt ſich ihr Gemüth beſchwert! Stellt ſie die Sache Gott anheim? Läßt ſprießen des Verbrechens Keim? Sucht ſie zu hindern, wie's vermag Ein machtlos Weib von ihrem Schlag? So fallen, reulos, unbewehrt, Von ſeines Untergebnen Hand! Und ſchaudernd ſie am Heerde ſtand So jammervoll in ihrer Schöne, Wie unterm Kreuze Magdalene. Vielleicht gibt ihr die Kirche ein, Was mag des Himmels Wille ſeyn. Schon weicht dem Morgenroth die Nacht, Laut wird das Vogelneſt am Aſt; Sie kann ſchon gehn, der Bürger wacht; Und ach! ihr dünkt, mit dieſer Laſt Wie Kain gemarkt von Gottes Hand, Sie könne wandern durch das Land. Fremd ſcheint es ihr, daß alles ſtumm, Geſperrt die Läden rings herum. Gottlob, die Kirche! Aber wie! Weit auf die Pforten, ſchon ſo früh? Und — iſt ſie blind? — der Ampel Licht, Der Hochaltar — ſie ſieht ihn nicht! Es iſt zu viel: ihr Auge ſchattet, Und auf ein Grab ſinkt ſie ermattet. Da über ihr Geziſch, Geknarr, Die Uhr im Thurme mit Geſchnarr

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/530>, abgerufen am 22.11.2024.