Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Zuvor erschien sie ungetheilte Wand,
Doch eben traf ein Strahl den scharfen Rand.
So unversehens fällt kein Schlag im Spiel,
Als mir's wie Hammerschlag zum Herzen fiel.
Die Angst, die Angst mir schnürte alle Sinnen,
Hinan zu treten konnt' ich kaum gewinnen.
Und -- höre Sohn! -- das Ufer hing hinein,
Wie wenn man rutscht und nach die Scholle bricht,
Vielleicht doch, möglich, konnt' es Zufall seyn:
Der Rand war schroff, und bröcklig das Gestein.
Und -- höre mich! -- ob Röthel in der Schicht?
Roth war die Wand, unmöglich wär' es nicht.
Und hör'! -- Am Grunde sah ich Etwas ragen,
Das weiß und zuckend an der Scholle hing.
Mir schien's ein Tuch vom Wellenschlag getragen,
Der Himmel wolle, daß ich falsch gesehn!
Vielleicht im Spalt sich eine Taube fing:
Doch damals meint' ich in's Gericht zu gehn.
Es war ein bitter, o ein hart Geschick,
Was mich betraf in Jugendmuth und Glück
Und lange, lange mußt ich heimlich tragen.
Doch Zeit ist kräftig und die Heimath lind.
Um meine Scheitel wehte mancher Wind.
Ich nahm ein Weib, ich sah mein eignes Kind.
Nicht wahr, mein Sohn? Du weißt noch, als du klein,
Daß ich gelacht und öfters fröhlich war.
Ich sah mich frisch an deinen Augen klar:
Ja, Kinder müssen unsre Engel seyn!
Wenn ich mit dir getändelt, ward mir's helle,
Ich fühlte nicht am Kopf die heiße Stelle.

Zuvor erſchien ſie ungetheilte Wand,
Doch eben traf ein Strahl den ſcharfen Rand.
So unverſehens fällt kein Schlag im Spiel,
Als mir's wie Hammerſchlag zum Herzen fiel.
Die Angſt, die Angſt mir ſchnürte alle Sinnen,
Hinan zu treten konnt' ich kaum gewinnen.
Und — höre Sohn! — das Ufer hing hinein,
Wie wenn man rutſcht und nach die Scholle bricht,
Vielleicht doch, möglich, konnt' es Zufall ſeyn:
Der Rand war ſchroff, und bröcklig das Geſtein.
Und — höre mich! — ob Röthel in der Schicht?
Roth war die Wand, unmöglich wär' es nicht.
Und hör'! — Am Grunde ſah ich Etwas ragen,
Das weiß und zuckend an der Scholle hing.
Mir ſchien's ein Tuch vom Wellenſchlag getragen,
Der Himmel wolle, daß ich falſch geſehn!
Vielleicht im Spalt ſich eine Taube fing:
Doch damals meint' ich in's Gericht zu gehn.
Es war ein bitter, o ein hart Geſchick,
Was mich betraf in Jugendmuth und Glück
Und lange, lange mußt ich heimlich tragen.
Doch Zeit iſt kräftig und die Heimath lind.
Um meine Scheitel wehte mancher Wind.
Ich nahm ein Weib, ich ſah mein eignes Kind.
Nicht wahr, mein Sohn? Du weißt noch, als du klein,
Daß ich gelacht und öfters fröhlich war.
Ich ſah mich friſch an deinen Augen klar:
Ja, Kinder müſſen unſre Engel ſeyn!
Wenn ich mit dir getändelt, ward mir's helle,
Ich fühlte nicht am Kopf die heiße Stelle.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="26">
              <pb facs="#f0500" n="486"/>
              <l>Zuvor er&#x017F;chien &#x017F;ie ungetheilte Wand,</l><lb/>
              <l>Doch eben traf ein Strahl den &#x017F;charfen Rand.</l><lb/>
              <l>So unver&#x017F;ehens fällt kein Schlag im Spiel,</l><lb/>
              <l>Als mir's wie Hammer&#x017F;chlag zum Herzen fiel.</l><lb/>
              <l>Die Ang&#x017F;t, die Ang&#x017F;t mir &#x017F;chnürte alle Sinnen,</l><lb/>
              <l>Hinan zu treten konnt' ich kaum gewinnen.</l><lb/>
              <l>Und &#x2014; höre Sohn! &#x2014; das Ufer hing hinein,</l><lb/>
              <l>Wie wenn man rut&#x017F;cht und nach die Scholle bricht,</l><lb/>
              <l>Vielleicht doch, möglich, konnt' es Zufall &#x017F;eyn:</l><lb/>
              <l>Der Rand war &#x017F;chroff, und bröcklig das Ge&#x017F;tein.</l><lb/>
              <l>Und &#x2014; höre mich! &#x2014; ob Röthel in der Schicht?</l><lb/>
              <l>Roth war die Wand, unmöglich wär' es nicht.</l><lb/>
              <l>Und hör'! &#x2014; Am Grunde &#x017F;ah ich Etwas ragen,</l><lb/>
              <l>Das weiß und zuckend an der Scholle hing.</l><lb/>
              <l>Mir &#x017F;chien's ein Tuch vom Wellen&#x017F;chlag getragen,</l><lb/>
              <l>Der Himmel wolle, daß ich fal&#x017F;ch ge&#x017F;ehn!</l><lb/>
              <l>Vielleicht im Spalt &#x017F;ich eine Taube fing:</l><lb/>
              <l>Doch damals meint' ich in's Gericht zu gehn.</l><lb/>
              <l>Es war ein bitter, o ein hart Ge&#x017F;chick,</l><lb/>
              <l>Was mich betraf in Jugendmuth und Glück</l><lb/>
              <l>Und lange, lange mußt ich heimlich tragen.</l><lb/>
              <l>Doch Zeit i&#x017F;t kräftig und die Heimath lind.</l><lb/>
              <l>Um meine Scheitel wehte mancher Wind.</l><lb/>
              <l>Ich nahm ein Weib, ich &#x017F;ah mein eignes Kind.</l><lb/>
              <l>Nicht wahr, mein Sohn? Du weißt noch, als du klein,</l><lb/>
              <l>Daß ich gelacht und öfters fröhlich war.</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;ah mich fri&#x017F;ch an deinen Augen klar:</l><lb/>
              <l>Ja, Kinder mü&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;re Engel &#x017F;eyn!</l><lb/>
              <l>Wenn ich mit dir getändelt, ward mir's helle,</l><lb/>
              <l>Ich fühlte nicht am Kopf die heiße Stelle.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[486/0500] Zuvor erſchien ſie ungetheilte Wand, Doch eben traf ein Strahl den ſcharfen Rand. So unverſehens fällt kein Schlag im Spiel, Als mir's wie Hammerſchlag zum Herzen fiel. Die Angſt, die Angſt mir ſchnürte alle Sinnen, Hinan zu treten konnt' ich kaum gewinnen. Und — höre Sohn! — das Ufer hing hinein, Wie wenn man rutſcht und nach die Scholle bricht, Vielleicht doch, möglich, konnt' es Zufall ſeyn: Der Rand war ſchroff, und bröcklig das Geſtein. Und — höre mich! — ob Röthel in der Schicht? Roth war die Wand, unmöglich wär' es nicht. Und hör'! — Am Grunde ſah ich Etwas ragen, Das weiß und zuckend an der Scholle hing. Mir ſchien's ein Tuch vom Wellenſchlag getragen, Der Himmel wolle, daß ich falſch geſehn! Vielleicht im Spalt ſich eine Taube fing: Doch damals meint' ich in's Gericht zu gehn. Es war ein bitter, o ein hart Geſchick, Was mich betraf in Jugendmuth und Glück Und lange, lange mußt ich heimlich tragen. Doch Zeit iſt kräftig und die Heimath lind. Um meine Scheitel wehte mancher Wind. Ich nahm ein Weib, ich ſah mein eignes Kind. Nicht wahr, mein Sohn? Du weißt noch, als du klein, Daß ich gelacht und öfters fröhlich war. Ich ſah mich friſch an deinen Augen klar: Ja, Kinder müſſen unſre Engel ſeyn! Wenn ich mit dir getändelt, ward mir's helle, Ich fühlte nicht am Kopf die heiße Stelle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/500
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/500>, abgerufen am 22.11.2024.