Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Fenster klirren, alle Zellen
Beleben sich, und vorgeduckt
Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt.

Und wie das Knäbchen sie erschau'n,
Das Kindchen unter ihrem Dache,
Da ist's, als ob die Sonne, traun!
Auf jedem Angesicht erwache.
Und alle eilen, wie bethört,
Ihm irgend Gutes zuzufügen;
Auf die Geschichte keiner hört.
Das ist das heilige Vergnügen,
Das ist die unverstandne Macht,
So über Kindes Leben wacht!
Der Infirmier * mit leiser Hand
Die Glieder rührt, ob sie auch schwellen,
Die Schuh ihm von den Füßchen zieht,
Und heimlich, an der Zellenwand,
Ein alterschwacher Mönch sich müht
Den kleinen Korb herabzustellen,
Darin nach seiner thör'gen Art
Er gute Bissen aufgespart.
Dem Pater Koch nicht schnell genug
Das Reisig will die Flamme zollen.
Dort Einer bringt ein warmes Tuch;
Doch -- horch! die Gitterpforten rollen. --
"Der Prior!" läuft's von Mund zu Mund.
Mit freud'gem Funkeln lauscht der Hund,
* Infirmier, Krankenwärter.

Die Fenſter klirren, alle Zellen
Beleben ſich, und vorgeduckt
Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt.

Und wie das Knäbchen ſie erſchau'n,
Das Kindchen unter ihrem Dache,
Da iſt's, als ob die Sonne, traun!
Auf jedem Angeſicht erwache.
Und alle eilen, wie bethört,
Ihm irgend Gutes zuzufügen;
Auf die Geſchichte keiner hört.
Das iſt das heilige Vergnügen,
Das iſt die unverſtandne Macht,
So über Kindes Leben wacht!
Der Infirmier * mit leiſer Hand
Die Glieder rührt, ob ſie auch ſchwellen,
Die Schuh ihm von den Füßchen zieht,
Und heimlich, an der Zellenwand,
Ein alterſchwacher Mönch ſich müht
Den kleinen Korb herabzuſtellen,
Darin nach ſeiner thör'gen Art
Er gute Biſſen aufgeſpart.
Dem Pater Koch nicht ſchnell genug
Das Reiſig will die Flamme zollen.
Dort Einer bringt ein warmes Tuch;
Doch — horch! die Gitterpforten rollen. —
„Der Prior!“ läuft's von Mund zu Mund.
Mit freud'gem Funkeln lauſcht der Hund,
* Infirmier, Krankenwärter.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="3">
                <pb facs="#f0448" n="434"/>
                <l>Die Fen&#x017F;ter klirren, alle Zellen</l><lb/>
                <l>Beleben &#x017F;ich, und vorgeduckt</l><lb/>
                <l>Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="4">
                <l>Und wie das Knäbchen &#x017F;ie er&#x017F;chau'n,</l><lb/>
                <l>Das Kindchen unter ihrem Dache,</l><lb/>
                <l>Da i&#x017F;t's, als ob die Sonne, traun!</l><lb/>
                <l>Auf jedem Ange&#x017F;icht erwache.</l><lb/>
                <l>Und alle eilen, wie bethört,</l><lb/>
                <l>Ihm irgend Gutes zuzufügen;</l><lb/>
                <l>Auf die Ge&#x017F;chichte keiner hört.</l><lb/>
                <l>Das i&#x017F;t das heilige Vergnügen,</l><lb/>
                <l>Das i&#x017F;t die unver&#x017F;tandne Macht,</l><lb/>
                <l>So über Kindes Leben wacht!</l><lb/>
                <l>Der Infirmier <note place="foot" n="*">Infirmier, Krankenwärter.<lb/></note> mit lei&#x017F;er Hand</l><lb/>
                <l>Die Glieder rührt, ob &#x017F;ie auch &#x017F;chwellen,</l><lb/>
                <l>Die Schuh ihm von den Füßchen zieht,</l><lb/>
                <l>Und heimlich, an der Zellenwand,</l><lb/>
                <l>Ein alter&#x017F;chwacher Mönch &#x017F;ich müht</l><lb/>
                <l>Den kleinen Korb herabzu&#x017F;tellen,</l><lb/>
                <l>Darin nach &#x017F;einer thör'gen Art</l><lb/>
                <l>Er gute Bi&#x017F;&#x017F;en aufge&#x017F;part.</l><lb/>
                <l>Dem Pater Koch nicht &#x017F;chnell genug</l><lb/>
                <l>Das Rei&#x017F;ig will die Flamme zollen.</l><lb/>
                <l>Dort Einer bringt ein warmes Tuch;</l><lb/>
                <l>Doch &#x2014; horch! die Gitterpforten rollen. &#x2014;</l><lb/>
                <l>&#x201E;Der Prior!&#x201C; läuft's von Mund zu Mund.</l><lb/>
                <l>Mit freud'gem Funkeln lau&#x017F;cht der Hund,</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0448] Die Fenſter klirren, alle Zellen Beleben ſich, und vorgeduckt Aus jeder Thür ein Mönchlein guckt. Und wie das Knäbchen ſie erſchau'n, Das Kindchen unter ihrem Dache, Da iſt's, als ob die Sonne, traun! Auf jedem Angeſicht erwache. Und alle eilen, wie bethört, Ihm irgend Gutes zuzufügen; Auf die Geſchichte keiner hört. Das iſt das heilige Vergnügen, Das iſt die unverſtandne Macht, So über Kindes Leben wacht! Der Infirmier * mit leiſer Hand Die Glieder rührt, ob ſie auch ſchwellen, Die Schuh ihm von den Füßchen zieht, Und heimlich, an der Zellenwand, Ein alterſchwacher Mönch ſich müht Den kleinen Korb herabzuſtellen, Darin nach ſeiner thör'gen Art Er gute Biſſen aufgeſpart. Dem Pater Koch nicht ſchnell genug Das Reiſig will die Flamme zollen. Dort Einer bringt ein warmes Tuch; Doch — horch! die Gitterpforten rollen. — „Der Prior!“ läuft's von Mund zu Mund. Mit freud'gem Funkeln lauſcht der Hund, * Infirmier, Krankenwärter.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/448
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/448>, abgerufen am 22.11.2024.