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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Ein Andres ist's, am Grabe stehn
Und ruhig dem verzerrten Ich
In's eingesunkne Auge sehn.
Sieh! wie schon wieder schauerlich
Der Strahl durch das Gewölbe streicht,
Und dem betäubten Manne sich
Am Winkel dort ein Bänkchen zeigt
In das Gemäuer eingefugt.
Das ist ja eben, was er sucht!
Und muß nun seufzend sich bereiten,
Die ganze Wölbung zu durchschreiten.
Wie er die Schritte zögernd lenkt,
Die Augen bleiben scharf gesenkt,
Beinah' geschlossen, als er quer
Um eine Bahre wendet her,
Zu eilig; mit dem Fuße schwer
Trifft er an des Gerüstes Stützen,
Durch das Gewölbe dröhnt der Schall.
Die Bahre schwankt, er will sich schützen,
Er gleitet; modriges Gewand,
Verwirrtes Haar streift seine Hand.
Der Alte taumelt und erbleicht.
Wie jener Winkel noch erreicht,
Das weiß er nicht, hält immer fest
An seine Brust das Kind gepreßt,
Und sucht vergebens zu bezwingen
Der Phantasie verstörtes Ringen.
Die Wölbung dreht, die Mauern singen,
Ihm ist, als hätte seine Hand
Des Todten Züge all ergründet;

v. Droste-Hülshof, Gedichte. 27

Ein Andres iſt's, am Grabe ſtehn
Und ruhig dem verzerrten Ich
In's eingeſunkne Auge ſehn.
Sieh! wie ſchon wieder ſchauerlich
Der Strahl durch das Gewölbe ſtreicht,
Und dem betäubten Manne ſich
Am Winkel dort ein Bänkchen zeigt
In das Gemäuer eingefugt.
Das iſt ja eben, was er ſucht!
Und muß nun ſeufzend ſich bereiten,
Die ganze Wölbung zu durchſchreiten.
Wie er die Schritte zögernd lenkt,
Die Augen bleiben ſcharf geſenkt,
Beinah' geſchloſſen, als er quer
Um eine Bahre wendet her,
Zu eilig; mit dem Fuße ſchwer
Trifft er an des Gerüſtes Stützen,
Durch das Gewölbe dröhnt der Schall.
Die Bahre ſchwankt, er will ſich ſchützen,
Er gleitet; modriges Gewand,
Verwirrtes Haar ſtreift ſeine Hand.
Der Alte taumelt und erbleicht.
Wie jener Winkel noch erreicht,
Das weiß er nicht, hält immer feſt
An ſeine Bruſt das Kind gepreßt,
Und ſucht vergebens zu bezwingen
Der Phantaſie verſtörtes Ringen.
Die Wölbung dreht, die Mauern ſingen,
Ihm iſt, als hätte ſeine Hand
Des Todten Züge all ergründet;

v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 27
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[417/0431] Ein Andres iſt's, am Grabe ſtehn Und ruhig dem verzerrten Ich In's eingeſunkne Auge ſehn. Sieh! wie ſchon wieder ſchauerlich Der Strahl durch das Gewölbe ſtreicht, Und dem betäubten Manne ſich Am Winkel dort ein Bänkchen zeigt In das Gemäuer eingefugt. Das iſt ja eben, was er ſucht! Und muß nun ſeufzend ſich bereiten, Die ganze Wölbung zu durchſchreiten. Wie er die Schritte zögernd lenkt, Die Augen bleiben ſcharf geſenkt, Beinah' geſchloſſen, als er quer Um eine Bahre wendet her, Zu eilig; mit dem Fuße ſchwer Trifft er an des Gerüſtes Stützen, Durch das Gewölbe dröhnt der Schall. Die Bahre ſchwankt, er will ſich ſchützen, Er gleitet; modriges Gewand, Verwirrtes Haar ſtreift ſeine Hand. Der Alte taumelt und erbleicht. Wie jener Winkel noch erreicht, Das weiß er nicht, hält immer feſt An ſeine Bruſt das Kind gepreßt, Und ſucht vergebens zu bezwingen Der Phantaſie verſtörtes Ringen. Die Wölbung dreht, die Mauern ſingen, Ihm iſt, als hätte ſeine Hand Des Todten Züge all ergründet; v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 27

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/431>, abgerufen am 22.11.2024.