Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Alte und neue Kinderzucht. 1. In seiner Buchenhalle saß ein Greis auf grüner Bank, Vor ihm, in grünlichem Pokal, der Rebe Feuertrank; Zur Seite seiner Jugend Sproß, sich lehnend an den Zweigen, Ein ernster Vierziger, vernahm des Alten Wort in Schweigen. "Sohn", sprach der Patriarch, es klang die Stimme schier bewegt: "Das Kissen für mein Sterbebett du hast es weich gelegt; Ich weiß es, eine Thräne wird das Leichentuch mir netzen, In meinen Sessel wird dereinst ein Ehrenmann sich setzen. Zu Gottes Ehr' und deiner Pflicht, und nach der Vordern Art, Zog ich in aller Treue dich, als schon dein Kinn behaart. Nicht will die neue Weise mir zum alten Haupte gehen, Ein Sohn hat seinen Herrn, so lang zwei Augen offen stehen. Mein Vater, -- tröst ihn Gott, er fiel in einem guten
Straus! -- War Diener seinem Fürsten und ein König seinem Haus, Sein treues Auge wußte wohl der Kinder Heil zu wahren, Den letzten Schlag von seiner Hand fühlt ich mit zwanzig Jahren. Alte und neue Kinderzucht. 1. In ſeiner Buchenhalle ſaß ein Greis auf grüner Bank, Vor ihm, in grünlichem Pokal, der Rebe Feuertrank; Zur Seite ſeiner Jugend Sproß, ſich lehnend an den Zweigen, Ein ernſter Vierziger, vernahm des Alten Wort in Schweigen. „Sohn“, ſprach der Patriarch, es klang die Stimme ſchier bewegt: „Das Kiſſen für mein Sterbebett du haſt es weich gelegt; Ich weiß es, eine Thräne wird das Leichentuch mir netzen, In meinen Seſſel wird dereinſt ein Ehrenmann ſich ſetzen. Zu Gottes Ehr' und deiner Pflicht, und nach der Vordern Art, Zog ich in aller Treue dich, als ſchon dein Kinn behaart. Nicht will die neue Weiſe mir zum alten Haupte gehen, Ein Sohn hat ſeinen Herrn, ſo lang zwei Augen offen ſtehen. Mein Vater, — tröſt ihn Gott, er fiel in einem guten
Straus! — War Diener ſeinem Fürſten und ein König ſeinem Haus, Sein treues Auge wußte wohl der Kinder Heil zu wahren‚ Den letzten Schlag von ſeiner Hand fühlt ich mit zwanzig Jahren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0043" n="29"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Alte und neue Kinderzucht.</hi><lb/> </head> <div n="3"> <head>1.<lb/></head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>In ſeiner Buchenhalle ſaß ein Greis auf grüner Bank,</l><lb/> <l>Vor ihm, in grünlichem Pokal, der Rebe Feuertrank;</l><lb/> <l>Zur Seite ſeiner Jugend Sproß, ſich lehnend an den Zweigen,</l><lb/> <l>Ein ernſter Vierziger, vernahm des Alten Wort in Schweigen.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>„Sohn“, ſprach der Patriarch, es klang die Stimme ſchier</l><lb/> <l>bewegt:</l><lb/> <l>„Das Kiſſen für mein Sterbebett du haſt es weich gelegt;</l><lb/> <l>Ich weiß es, eine Thräne wird das Leichentuch mir netzen,</l><lb/> <l>In meinen Seſſel wird dereinſt ein Ehrenmann ſich ſetzen.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Zu Gottes Ehr' und deiner Pflicht, und nach der Vordern</l><lb/> <l>Art,</l><lb/> <l>Zog ich in aller Treue dich, als ſchon dein Kinn behaart.</l><lb/> <l>Nicht will die neue Weiſe mir zum alten Haupte gehen,</l><lb/> <l>Ein Sohn hat ſeinen Herrn, ſo lang zwei Augen offen ſtehen.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Mein Vater, — tröſt ihn Gott, er fiel in einem guten</l><lb/> <l>Straus! —</l><lb/> <l>War Diener ſeinem Fürſten und ein König ſeinem Haus,</l><lb/> <l>Sein treues Auge wußte wohl der Kinder Heil zu wahren‚</l><lb/> <l>Den letzten Schlag von ſeiner Hand fühlt ich mit zwanzig</l><lb/> <l>Jahren.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0043]
Alte und neue Kinderzucht.
1.
In ſeiner Buchenhalle ſaß ein Greis auf grüner Bank,
Vor ihm, in grünlichem Pokal, der Rebe Feuertrank;
Zur Seite ſeiner Jugend Sproß, ſich lehnend an den Zweigen,
Ein ernſter Vierziger, vernahm des Alten Wort in Schweigen.
„Sohn“, ſprach der Patriarch, es klang die Stimme ſchier
bewegt:
„Das Kiſſen für mein Sterbebett du haſt es weich gelegt;
Ich weiß es, eine Thräne wird das Leichentuch mir netzen,
In meinen Seſſel wird dereinſt ein Ehrenmann ſich ſetzen.
Zu Gottes Ehr' und deiner Pflicht, und nach der Vordern
Art,
Zog ich in aller Treue dich, als ſchon dein Kinn behaart.
Nicht will die neue Weiſe mir zum alten Haupte gehen,
Ein Sohn hat ſeinen Herrn, ſo lang zwei Augen offen ſtehen.
Mein Vater, — tröſt ihn Gott, er fiel in einem guten
Straus! —
War Diener ſeinem Fürſten und ein König ſeinem Haus,
Sein treues Auge wußte wohl der Kinder Heil zu wahren‚
Den letzten Schlag von ſeiner Hand fühlt ich mit zwanzig
Jahren.
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