"Laß, du vermagst es nicht zu halten, Laß ab!" Es zittert jeder Ton, Der aus bewegter Brust sich windet, Und kaum im Odem Nahrung findet. Die Glieder, so in Frost und Qual Ihn treulich trugen durch die Steppen, Kaum vorwärts weiß er sie zu schleppen Bis hin, wo harrt das karge Mahl. Er faßt das Brod und kann's nicht theilen, Und stöbert, sucht mit wirrem Eilen In allen Taschen, allen Falten, Selbst in der Stiefel engen Spalten. "Hab' ich mein Messer denn verloren?" Die Rinde bricht, sie ist noch warm. "Nun iß, nun trink, mein Würmchen arm! O, kam ich eher um zwei Stunden! Um eine einz'ge Stunde nur!" Die Mönche hätt' er noch gefunden; Dies ist des Hospitales Spur.
Denn was die kühnste Flamme bricht, So wild sie durch die Adern tobt: Es löscht die fromme Liebe nicht, Die Leib und Leben hat verlobt. Wenn Windsbraut an den Klippen rüttelt, Wenn sich das Schneegestöber schüttelt, Wenn durch die öde Winternacht, Nur wie ein fernes Mordgeschütz, Die zitternde Lawine kracht, Wenn um die Gipfel spielt der Blitz:
„Laß, du vermagſt es nicht zu halten, Laß ab!“ Es zittert jeder Ton, Der aus bewegter Bruſt ſich windet, Und kaum im Odem Nahrung findet. Die Glieder, ſo in Froſt und Qual Ihn treulich trugen durch die Steppen, Kaum vorwärts weiß er ſie zu ſchleppen Bis hin, wo harrt das karge Mahl. Er faßt das Brod und kann's nicht theilen, Und ſtöbert, ſucht mit wirrem Eilen In allen Taſchen, allen Falten, Selbſt in der Stiefel engen Spalten. „Hab' ich mein Meſſer denn verloren?“ Die Rinde bricht, ſie iſt noch warm. „Nun iß, nun trink, mein Würmchen arm! O, kam ich eher um zwei Stunden! Um eine einz'ge Stunde nur!“ Die Mönche hätt' er noch gefunden; Dies iſt des Hospitales Spur.
Denn was die kühnſte Flamme bricht, So wild ſie durch die Adern tobt: Es löſcht die fromme Liebe nicht, Die Leib und Leben hat verlobt. Wenn Windsbraut an den Klippen rüttelt, Wenn ſich das Schneegeſtöber ſchüttelt, Wenn durch die öde Winternacht, Nur wie ein fernes Mordgeſchütz, Die zitternde Lawine kracht, Wenn um die Gipfel ſpielt der Blitz:
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„Laß, du vermagſt es nicht zu halten,
Laß ab!“ Es zittert jeder Ton,
Der aus bewegter Bruſt ſich windet,
Und kaum im Odem Nahrung findet.
Die Glieder, ſo in Froſt und Qual
Ihn treulich trugen durch die Steppen,
Kaum vorwärts weiß er ſie zu ſchleppen
Bis hin, wo harrt das karge Mahl.
Er faßt das Brod und kann's nicht theilen,
Und ſtöbert, ſucht mit wirrem Eilen
In allen Taſchen, allen Falten,
Selbſt in der Stiefel engen Spalten.
„Hab' ich mein Meſſer denn verloren?“
Die Rinde bricht, ſie iſt noch warm.
„Nun iß, nun trink, mein Würmchen arm!
O, kam ich eher um zwei Stunden!
Um eine einz'ge Stunde nur!“
Die Mönche hätt' er noch gefunden;
Dies iſt des Hospitales Spur.
Denn was die kühnſte Flamme bricht,
So wild ſie durch die Adern tobt:
Es löſcht die fromme Liebe nicht,
Die Leib und Leben hat verlobt.
Wenn Windsbraut an den Klippen rüttelt,
Wenn ſich das Schneegeſtöber ſchüttelt,
Wenn durch die öde Winternacht,
Nur wie ein fernes Mordgeſchütz,
Die zitternde Lawine kracht,
Wenn um die Gipfel ſpielt der Blitz:
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/427>, abgerufen am 22.11.2024.
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