"Der ist betrunken oder irr!" er steht ein Weilchen in Ge¬ danken, Bekreuzt sich, zieht die Uhr heraus, Und lehnt sich an sein Schilderhaus.
In's offne Land der Täuscher tritt, er athmet auf und schaut nach oben; Kein Wölkchen hängt am Riesenbau der dunklen Saphir¬ kuppel droben, Er wendet sich, und sieht die Stadt wie eine Nebelmasse liegen, Und drüber, auf Sankt Thomas Thurm, das Wetterkreuz sich schimmernd wiegen, Den Mantel zieht er an's Gesicht Und schreitet fort im Mondenlicht.
Was liegt dort über'm Weg? -- ein Mensch, ein Mann in dünnem Zwillichrocke, -- Der Täuscher zuckt, doch zaudert nicht; wohl sieht des Greisen dünne Locke, Die Glatze, leuchtend aus dem Schnee, er sieht sie im Vor¬ überschreiten, Und wie mit tausend Stricken zieht es nieder, nieder ihn, zur Seiten; An's Herz hat er die Faust geballt, Und weiter, weiter sonder Halt!
Die Scholle unterm Fuße kracht, und scheint ihn wimmernd anzuklagen, Die Luft mit ihrem leisern Hauch ihm Sterberöcheln zuzu¬ tragen,
„Der iſt betrunken oder irr!“ er ſteht ein Weilchen in Ge¬ danken, Bekreuzt ſich, zieht die Uhr heraus, Und lehnt ſich an ſein Schilderhaus.
In's offne Land der Täuſcher tritt, er athmet auf und ſchaut nach oben; Kein Wölkchen hängt am Rieſenbau der dunklen Saphir¬ kuppel droben, Er wendet ſich, und ſieht die Stadt wie eine Nebelmaſſe liegen, Und drüber, auf Sankt Thomas Thurm, das Wetterkreuz ſich ſchimmernd wiegen, Den Mantel zieht er an's Geſicht Und ſchreitet fort im Mondenlicht.
Was liegt dort über'm Weg? — ein Menſch, ein Mann in dünnem Zwillichrocke, — Der Täuſcher zuckt, doch zaudert nicht; wohl ſieht des Greiſen dünne Locke, Die Glatze, leuchtend aus dem Schnee, er ſieht ſie im Vor¬ überſchreiten, Und wie mit tauſend Stricken zieht es nieder, nieder ihn, zur Seiten; An's Herz hat er die Fauſt geballt, Und weiter, weiter ſonder Halt!
Die Scholle unterm Fuße kracht, und ſcheint ihn wimmernd anzuklagen, Die Luft mit ihrem leiſern Hauch ihm Sterberöcheln zuzu¬ tragen,
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„Der iſt betrunken oder irr!“ er ſteht ein Weilchen in Ge¬
danken,
Bekreuzt ſich, zieht die Uhr heraus,
Und lehnt ſich an ſein Schilderhaus.
In's offne Land der Täuſcher tritt, er athmet auf und ſchaut
nach oben;
Kein Wölkchen hängt am Rieſenbau der dunklen Saphir¬
kuppel droben,
Er wendet ſich, und ſieht die Stadt wie eine Nebelmaſſe
liegen,
Und drüber, auf Sankt Thomas Thurm, das Wetterkreuz
ſich ſchimmernd wiegen,
Den Mantel zieht er an's Geſicht
Und ſchreitet fort im Mondenlicht.
Was liegt dort über'm Weg? — ein Menſch, ein Mann in
dünnem Zwillichrocke, —
Der Täuſcher zuckt, doch zaudert nicht; wohl ſieht des
Greiſen dünne Locke,
Die Glatze, leuchtend aus dem Schnee, er ſieht ſie im Vor¬
überſchreiten,
Und wie mit tauſend Stricken zieht es nieder, nieder ihn,
zur Seiten;
An's Herz hat er die Fauſt geballt,
Und weiter, weiter ſonder Halt!
Die Scholle unterm Fuße kracht, und ſcheint ihn wimmernd
anzuklagen,
Die Luft mit ihrem leiſern Hauch ihm Sterberöcheln zuzu¬
tragen,
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/390>, abgerufen am 16.02.2025.
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