Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Habt ihr auf euren Zügen denn von der Gesellschaft
nichts vernommen?"
Der Täuscher blickt verwirrt umher,
Und: "die Gesellschaft?" murmelt er.

"Wie, die so manchen braven Mann aus seinen Nöthen hat
gezogen
Und keinen Heller Zinsen nimmt, zwei Worte nur auf weißem
Bogen,
Die euch, und lebt ihr hundert Jahr, mit keiner Mahnung
wird beschämen,
Die kennt ihr nicht? die kennt ihr nicht? fürwahr, das muß
mich Wunder nehmen!"
Der Täuscher horcht, er spricht kein Wort,
Und flüsternd fährt der Andre fort:
"Hört an, wenn in Silvesternacht das Mondlicht steigt in
volle Bahnen,
Kein Dach, kein Baum es schatten mag, wenn silbern stehn
der Thürme Fahnen,
Zum Schleusenthor geht dann hinaus, den Strom zur Rechten,
links die Föhren,
Wer euch begegnet -- achtet's nicht; wer euch begrüßt --
laßt euch nicht stören,
Und hinterm Friedhof liegt ein Haus,
Ein wenig öde sieht es aus.
Verstorbnen Wuchrers Erb' um das sich sieben Lumpe hitzig
streiten,

Habt ihr auf euren Zügen denn von der Geſellſchaft
nichts vernommen?“
Der Täuſcher blickt verwirrt umher,
Und: „die Geſellſchaft?“ murmelt er.

„Wie, die ſo manchen braven Mann aus ſeinen Nöthen hat
gezogen
Und keinen Heller Zinſen nimmt, zwei Worte nur auf weißem
Bogen,
Die euch, und lebt ihr hundert Jahr, mit keiner Mahnung
wird beſchämen,
Die kennt ihr nicht? die kennt ihr nicht? fürwahr, das muß
mich Wunder nehmen!“
Der Täuſcher horcht, er ſpricht kein Wort,
Und flüſternd fährt der Andre fort:
„Hört an, wenn in Silveſternacht das Mondlicht ſteigt in
volle Bahnen,
Kein Dach, kein Baum es ſchatten mag, wenn ſilbern ſtehn
der Thürme Fahnen,
Zum Schleuſenthor geht dann hinaus, den Strom zur Rechten,
links die Föhren,
Wer euch begegnet — achtet's nicht; wer euch begrüßt —
laßt euch nicht ſtören,
Und hinterm Friedhof liegt ein Haus,
Ein wenig öde ſieht es aus.
Verſtorbnen Wuchrers Erb' um das ſich ſieben Lumpe hitzig
ſtreiten,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="8">
                <pb facs="#f0387" n="373"/>
                <l>Habt ihr auf euren Zügen denn von der <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi></l><lb/>
                <l>nichts vernommen?&#x201C;</l><lb/>
                <l>Der Täu&#x017F;cher blickt verwirrt umher,</l><lb/>
                <l>Und: &#x201E;die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft?&#x201C; murmelt er.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="9">
                <l>&#x201E;Wie, die &#x017F;o manchen braven Mann aus &#x017F;einen Nöthen hat</l><lb/>
                <l>gezogen</l><lb/>
                <l>Und keinen Heller Zin&#x017F;en nimmt, zwei Worte nur auf weißem</l><lb/>
                <l>Bogen,</l><lb/>
                <l>Die euch, und lebt ihr hundert Jahr, mit keiner Mahnung</l><lb/>
                <l>wird be&#x017F;chämen,</l><lb/>
                <l>Die kennt ihr nicht? die kennt ihr nicht? fürwahr, das muß</l><lb/>
                <l>mich Wunder nehmen!&#x201C;</l><lb/>
                <l>Der Täu&#x017F;cher horcht, er &#x017F;pricht kein Wort,</l><lb/>
                <l>Und flü&#x017F;ternd fährt der Andre fort:</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="10">
                <l>&#x201E;Hört an, wenn in Silve&#x017F;ternacht das Mondlicht &#x017F;teigt in</l><lb/>
                <l>volle Bahnen,</l><lb/>
                <l>Kein Dach, kein Baum es &#x017F;chatten mag, wenn &#x017F;ilbern &#x017F;tehn</l><lb/>
                <l>der Thürme Fahnen,</l><lb/>
                <l>Zum Schleu&#x017F;enthor geht dann hinaus, den Strom zur Rechten,</l><lb/>
                <l>links die Föhren,</l><lb/>
                <l>Wer euch begegnet &#x2014; achtet's nicht; wer euch begrüßt &#x2014;</l><lb/>
                <l>laßt euch nicht &#x017F;tören,</l><lb/>
                <l>Und hinterm Friedhof liegt ein Haus,</l><lb/>
                <l>Ein wenig öde &#x017F;ieht es aus.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="11">
                <l>Ver&#x017F;torbnen Wuchrers Erb' um das &#x017F;ich &#x017F;ieben Lumpe hitzig</l><lb/>
                <l>&#x017F;treiten,</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[373/0387] Habt ihr auf euren Zügen denn von der Geſellſchaft nichts vernommen?“ Der Täuſcher blickt verwirrt umher, Und: „die Geſellſchaft?“ murmelt er. „Wie, die ſo manchen braven Mann aus ſeinen Nöthen hat gezogen Und keinen Heller Zinſen nimmt, zwei Worte nur auf weißem Bogen, Die euch, und lebt ihr hundert Jahr, mit keiner Mahnung wird beſchämen, Die kennt ihr nicht? die kennt ihr nicht? fürwahr, das muß mich Wunder nehmen!“ Der Täuſcher horcht, er ſpricht kein Wort, Und flüſternd fährt der Andre fort: „Hört an, wenn in Silveſternacht das Mondlicht ſteigt in volle Bahnen, Kein Dach, kein Baum es ſchatten mag, wenn ſilbern ſtehn der Thürme Fahnen, Zum Schleuſenthor geht dann hinaus, den Strom zur Rechten, links die Föhren, Wer euch begegnet — achtet's nicht; wer euch begrüßt — laßt euch nicht ſtören, Und hinterm Friedhof liegt ein Haus, Ein wenig öde ſieht es aus. Verſtorbnen Wuchrers Erb' um das ſich ſieben Lumpe hitzig ſtreiten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/387
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/387>, abgerufen am 22.11.2024.