Sind denn so schwül die Nächt' im April? Oder ist so siedend jungfräulich' Blut? Sie schließt die Wimper, sie liegt so still, Und horcht des Herzens pochender Fluth. "O will es denn nimmer und nimmer tagen! O will denn nicht endlich die Stunde schlagen! Ich wache, und selbst der Seiger ruht!
Doch horch! es summt, eins, zwei und drei, -- Noch immer fort? -- sechs, sieben und acht, Elf, zwölf, -- o Himmel, war das ein Schrei? Doch nein, Gesang steigt über der Wacht, Nun wird mir's klar, mit frommem Munde Begrüßt das Hausgesinde die Stunde, * Anbrach die hochheilige Osternacht."
Seitab das Fräulein die Kissen stößt, Und wie eine Hinde vom Lager setzt, Sie hat des Mieders Schleifen gelöst, In's Häubchen drängt sie die Locken jetzt, Dann leise das Fenster öffnend, leise, Horcht sie der mählig schwellenden Weise, Vom wimmernden Schrei der Eule durchsetzt.
* Es bestand, und besteht hier und dort noch in katholischen Ländern die Sitte, am Vorabende des Oster- und Weihnachtstages den zwölften Glockenschlag abzuwarten, um den Eintritt des Festes mit einem frommen Liede zu begrüßen.
Das Fräulein von Rodenſchild.
Sind denn ſo ſchwül die Nächt' im April? Oder iſt ſo ſiedend jungfräulich' Blut? Sie ſchließt die Wimper, ſie liegt ſo ſtill, Und horcht des Herzens pochender Fluth. „O will es denn nimmer und nimmer tagen! O will denn nicht endlich die Stunde ſchlagen! Ich wache, und ſelbſt der Seiger ruht!
Doch horch! es ſummt, eins, zwei und drei, — Noch immer fort? — ſechs, ſieben und acht, Elf, zwölf, — o Himmel, war das ein Schrei? Doch nein, Geſang ſteigt über der Wacht, Nun wird mir's klar, mit frommem Munde Begrüßt das Hausgeſinde die Stunde, * Anbrach die hochheilige Oſternacht.“
Seitab das Fräulein die Kiſſen ſtößt, Und wie eine Hinde vom Lager ſetzt, Sie hat des Mieders Schleifen gelöst, In's Häubchen drängt ſie die Locken jetzt, Dann leiſe das Fenſter öffnend, leiſe, Horcht ſie der mählig ſchwellenden Weiſe, Vom wimmernden Schrei der Eule durchſetzt.
* Es beſtand, und beſteht hier und dort noch in katholiſchen Ländern die Sitte, am Vorabende des Oſter- und Weihnachtstages den zwölften Glockenſchlag abzuwarten, um den Eintritt des Feſtes mit einem frommen Liede zu begrüßen.
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Das Fräulein von Rodenſchild.
Sind denn ſo ſchwül die Nächt' im April?
Oder iſt ſo ſiedend jungfräulich' Blut?
Sie ſchließt die Wimper, ſie liegt ſo ſtill,
Und horcht des Herzens pochender Fluth.
„O will es denn nimmer und nimmer tagen!
O will denn nicht endlich die Stunde ſchlagen!
Ich wache, und ſelbſt der Seiger ruht!
Doch horch! es ſummt, eins, zwei und drei, —
Noch immer fort? — ſechs, ſieben und acht,
Elf, zwölf, — o Himmel, war das ein Schrei?
Doch nein, Geſang ſteigt über der Wacht,
Nun wird mir's klar, mit frommem Munde
Begrüßt das Hausgeſinde die Stunde, *
Anbrach die hochheilige Oſternacht.“
Seitab das Fräulein die Kiſſen ſtößt,
Und wie eine Hinde vom Lager ſetzt,
Sie hat des Mieders Schleifen gelöst,
In's Häubchen drängt ſie die Locken jetzt,
Dann leiſe das Fenſter öffnend, leiſe,
Horcht ſie der mählig ſchwellenden Weiſe,
Vom wimmernden Schrei der Eule durchſetzt.
* Es beſtand, und beſteht hier und dort noch in katholiſchen Ländern
die Sitte, am Vorabende des Oſter- und Weihnachtstages den zwölften
Glockenſchlag abzuwarten, um den Eintritt des Feſtes mit einem frommen
Liede zu begrüßen.
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/328>, abgerufen am 22.02.2025.
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