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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Wie, keine Enkel soll er wiegen?
Soll in des Eidams Hora gehn,
Und sehn sein Kind am Boden liegen
Und Paternosterkugeln drehn?
Nein, heute ist der Tag wo muß,
Wo wird die Sache sich erled'gen,
Und sollt' er mit dem Schwerte pred'gen,
Ein umgekehrter Carolus.
Und "Gottfried", spricht er, "Junge, Ritter,
So sieh doch einmal in die Höh!
Du schaust ja in den Wein so bitter
Wie Requiem und Kyrie.
Was spinnst du an dem alten Werg?
Laß die Kaputze grauen Sündern,
Und deine Burg die laß den Kindern,
Dein schönes festes Cappenberg!"
Und drunten in dem feuchten Thurme
Der Heil'ge flüstert: "Großer Gott,
Allgegenwärt'ger du im Wurme
Als in der Krone blankem Spott,
Wie größer deine Allmacht zeigt
Sein Füßchen, das lebendig zittert,
Als eine Mauer die verwittert,
Und ob ein Babel drüber steigt!"
"Ja" spricht der Graf, den Humpen schwenkend:
"Wär Norbert hier, dein Eselmann,
Ich ließ ihm füllen, dein gedenkend,
Und trinken möcht er was er kann;
Wie, keine Enkel ſoll er wiegen?
Soll in des Eidams Hora gehn,
Und ſehn ſein Kind am Boden liegen
Und Paternoſterkugeln drehn?
Nein, heute iſt der Tag wo muß,
Wo wird die Sache ſich erled'gen,
Und ſollt' er mit dem Schwerte pred'gen,
Ein umgekehrter Carolus.
Und „Gottfried“, ſpricht er, „Junge, Ritter,
So ſieh doch einmal in die Höh!
Du ſchauſt ja in den Wein ſo bitter
Wie Requiem und Kyrie.
Was ſpinnſt du an dem alten Werg?
Laß die Kaputze grauen Sündern,
Und deine Burg die laß den Kindern,
Dein ſchönes feſtes Cappenberg!“
Und drunten in dem feuchten Thurme
Der Heil'ge flüſtert: „Großer Gott,
Allgegenwärt'ger du im Wurme
Als in der Krone blankem Spott,
Wie größer deine Allmacht zeigt
Sein Füßchen, das lebendig zittert,
Als eine Mauer die verwittert,
Und ob ein Babel drüber ſteigt!“
„Ja“ ſpricht der Graf, den Humpen ſchwenkend:
„Wär Norbert hier, dein Eſelmann,
Ich ließ ihm füllen, dein gedenkend,
Und trinken möcht er was er kann;
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[286/0300] Wie, keine Enkel ſoll er wiegen? Soll in des Eidams Hora gehn, Und ſehn ſein Kind am Boden liegen Und Paternoſterkugeln drehn? Nein, heute iſt der Tag wo muß, Wo wird die Sache ſich erled'gen, Und ſollt' er mit dem Schwerte pred'gen, Ein umgekehrter Carolus. Und „Gottfried“, ſpricht er, „Junge, Ritter, So ſieh doch einmal in die Höh! Du ſchauſt ja in den Wein ſo bitter Wie Requiem und Kyrie. Was ſpinnſt du an dem alten Werg? Laß die Kaputze grauen Sündern, Und deine Burg die laß den Kindern, Dein ſchönes feſtes Cappenberg!“ Und drunten in dem feuchten Thurme Der Heil'ge flüſtert: „Großer Gott, Allgegenwärt'ger du im Wurme Als in der Krone blankem Spott, Wie größer deine Allmacht zeigt Sein Füßchen, das lebendig zittert, Als eine Mauer die verwittert, Und ob ein Babel drüber ſteigt!“ „Ja“ ſpricht der Graf, den Humpen ſchwenkend: „Wär Norbert hier, dein Eſelmann, Ich ließ ihm füllen, dein gedenkend, Und trinken möcht er was er kann;

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/300>, abgerufen am 22.11.2024.