Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Was mögen sie im Herzen tragen,
Wie manche Hoffnung, still bewacht!
Wie mag es unterm Vließe schlagen
So heiß in dieser kalten Nacht!
Fort keuchen sie, als möge fallen
Der Hammer, eh sie sich gebeugt,
Bevor sie an des Thrones Hallen
Die letzte Bittschrift eingereicht.
Dort hör ich eine Angel rauschen,
Vernehmlich wird des Kindes Schreyn,
Und die Gestalt -- sie scheint zu lauschen,
Dann fürder schwimmt der Lampe Schein;
Noch einmal steigt sie, läßt die Schimmer
Verzittern an des Fensters Rand,
Gewiß, sie trägt ein Frauenzimmer,
Und einer Mutter fromme Hand!
Nun stampft es rüstig durch die Gasse,
Die Decke kracht vom schweren Tritt,
Der Krämer schleppt die Sündenmasse
Der bösen Zahler keuchend mit;
Und hinter ihm wie eine Docke
Ein armes Kind im Flitterstaat,
Mit seidnem Fähnchen, seidner Locke,
Huscht frierend durch den engen Pfad.
Ha, Schellenklingeln längs der Stiege!
Glutaugen richtend in die Höh',
'Ne kolossale Feuerfliege,
Rauscht die Karosse durch den Schnee;
Was mögen ſie im Herzen tragen,
Wie manche Hoffnung, ſtill bewacht!
Wie mag es unterm Vließe ſchlagen
So heiß in dieſer kalten Nacht!
Fort keuchen ſie, als möge fallen
Der Hammer, eh ſie ſich gebeugt,
Bevor ſie an des Thrones Hallen
Die letzte Bittſchrift eingereicht.
Dort hör ich eine Angel rauſchen,
Vernehmlich wird des Kindes Schreyn,
Und die Geſtalt — ſie ſcheint zu lauſchen,
Dann fürder ſchwimmt der Lampe Schein;
Noch einmal ſteigt ſie, läßt die Schimmer
Verzittern an des Fenſters Rand,
Gewiß, ſie trägt ein Frauenzimmer,
Und einer Mutter fromme Hand!
Nun ſtampft es rüſtig durch die Gaſſe,
Die Decke kracht vom ſchweren Tritt,
Der Krämer ſchleppt die Sündenmaſſe
Der böſen Zahler keuchend mit;
Und hinter ihm wie eine Docke
Ein armes Kind im Flitterſtaat,
Mit ſeidnem Fähnchen, ſeidner Locke,
Huſcht frierend durch den engen Pfad.
Ha, Schellenklingeln längs der Stiege!
Glutaugen richtend in die Höh',
'Ne koloſſale Feuerfliege,
Rauſcht die Karoſſe durch den Schnee;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0216" n="202"/>
            <lg n="4">
              <l>Was mögen &#x017F;ie im Herzen tragen,</l><lb/>
              <l>Wie manche Hoffnung, &#x017F;till bewacht!</l><lb/>
              <l>Wie mag es unterm Vließe &#x017F;chlagen</l><lb/>
              <l>So heiß in die&#x017F;er kalten Nacht!</l><lb/>
              <l>Fort keuchen &#x017F;ie, als möge fallen</l><lb/>
              <l>Der Hammer, eh &#x017F;ie &#x017F;ich gebeugt,</l><lb/>
              <l>Bevor &#x017F;ie an des Thrones Hallen</l><lb/>
              <l>Die letzte Bitt&#x017F;chrift eingereicht.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>Dort hör ich eine Angel rau&#x017F;chen,</l><lb/>
              <l>Vernehmlich wird des Kindes Schreyn,</l><lb/>
              <l>Und die Ge&#x017F;talt &#x2014; &#x017F;ie &#x017F;cheint zu lau&#x017F;chen,</l><lb/>
              <l>Dann fürder &#x017F;chwimmt der Lampe Schein;</l><lb/>
              <l>Noch einmal &#x017F;teigt &#x017F;ie, läßt die Schimmer</l><lb/>
              <l>Verzittern an des Fen&#x017F;ters Rand,</l><lb/>
              <l>Gewiß, &#x017F;ie trägt ein Frauenzimmer,</l><lb/>
              <l>Und einer Mutter fromme Hand!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Nun &#x017F;tampft es rü&#x017F;tig durch die Ga&#x017F;&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Die Decke kracht vom &#x017F;chweren Tritt,</l><lb/>
              <l>Der Krämer &#x017F;chleppt die Sündenma&#x017F;&#x017F;e</l><lb/>
              <l>Der bö&#x017F;en Zahler keuchend mit;</l><lb/>
              <l>Und hinter ihm wie eine Docke</l><lb/>
              <l>Ein armes Kind im Flitter&#x017F;taat,</l><lb/>
              <l>Mit &#x017F;eidnem Fähnchen, &#x017F;eidner Locke,</l><lb/>
              <l>Hu&#x017F;cht frierend durch den engen Pfad.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="7">
              <l>Ha, Schellenklingeln längs der Stiege!</l><lb/>
              <l>Glutaugen richtend in die Höh',</l><lb/>
              <l>'Ne kolo&#x017F;&#x017F;ale Feuerfliege,</l><lb/>
              <l>Rau&#x017F;cht die Karo&#x017F;&#x017F;e durch den Schnee;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0216] Was mögen ſie im Herzen tragen, Wie manche Hoffnung, ſtill bewacht! Wie mag es unterm Vließe ſchlagen So heiß in dieſer kalten Nacht! Fort keuchen ſie, als möge fallen Der Hammer, eh ſie ſich gebeugt, Bevor ſie an des Thrones Hallen Die letzte Bittſchrift eingereicht. Dort hör ich eine Angel rauſchen, Vernehmlich wird des Kindes Schreyn, Und die Geſtalt — ſie ſcheint zu lauſchen, Dann fürder ſchwimmt der Lampe Schein; Noch einmal ſteigt ſie, läßt die Schimmer Verzittern an des Fenſters Rand, Gewiß, ſie trägt ein Frauenzimmer, Und einer Mutter fromme Hand! Nun ſtampft es rüſtig durch die Gaſſe, Die Decke kracht vom ſchweren Tritt, Der Krämer ſchleppt die Sündenmaſſe Der böſen Zahler keuchend mit; Und hinter ihm wie eine Docke Ein armes Kind im Flitterſtaat, Mit ſeidnem Fähnchen, ſeidner Locke, Huſcht frierend durch den engen Pfad. Ha, Schellenklingeln längs der Stiege! Glutaugen richtend in die Höh', 'Ne koloſſale Feuerfliege, Rauſcht die Karoſſe durch den Schnee;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/216
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/216>, abgerufen am 25.11.2024.