O frage nicht was mich so tief bewegt, Seh ich dein junges Blut so freudig wallen, Warum, an deine klare Stirn gelegt, Mir schwere Tropfen aus den Wimpern fallen.
Mich träumte einst, ich sey ein albern Kind, Sich emsig mühend an des Tisches Borden; Wie übermächtig die Vokabeln sind, Die wieder Hieroglyphen mir geworden!
Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß, Daß mir so klar und nüchtern jetzt zu Muthe, Daß ich so schrankenlos und überweis', So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.
So, wenn ich schaue in dein Antlitz mild, Wo tausend frische Lebenskeime walten, Da ist es mir, als ob Natur mein Bild Mir aus dem Zauberspiegel vorgehalten;
Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand, Und meiner Liebessonne dämmernd Scheinen, Was noch entschwinden wird und was entschwand, Das muß ich Alles dann in dir beweinen.
An ***
O frage nicht was mich ſo tief bewegt, Seh ich dein junges Blut ſo freudig wallen, Warum, an deine klare Stirn gelegt, Mir ſchwere Tropfen aus den Wimpern fallen.
Mich träumte einſt, ich ſey ein albern Kind, Sich emſig mühend an des Tiſches Borden; Wie übermächtig die Vokabeln ſind, Die wieder Hieroglyphen mir geworden!
Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß, Daß mir ſo klar und nüchtern jetzt zu Muthe, Daß ich ſo ſchrankenlos und überweiſ', So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.
So, wenn ich ſchaue in dein Antlitz mild, Wo tauſend friſche Lebenskeime walten, Da iſt es mir, als ob Natur mein Bild Mir aus dem Zauberſpiegel vorgehalten;
Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand, Und meiner Liebesſonne dämmernd Scheinen, Was noch entſchwinden wird und was entſchwand, Das muß ich Alles dann in dir beweinen.
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An ***
O frage nicht was mich ſo tief bewegt,
Seh ich dein junges Blut ſo freudig wallen,
Warum, an deine klare Stirn gelegt,
Mir ſchwere Tropfen aus den Wimpern fallen.
Mich träumte einſt, ich ſey ein albern Kind,
Sich emſig mühend an des Tiſches Borden;
Wie übermächtig die Vokabeln ſind,
Die wieder Hieroglyphen mir geworden!
Und als ich dann erwacht, da weint' ich heiß,
Daß mir ſo klar und nüchtern jetzt zu Muthe,
Daß ich ſo ſchrankenlos und überweiſ',
So ohne Furcht vor Schelten und vor Ruthe.
So, wenn ich ſchaue in dein Antlitz mild,
Wo tauſend friſche Lebenskeime walten,
Da iſt es mir, als ob Natur mein Bild
Mir aus dem Zauberſpiegel vorgehalten;
Und all mein Hoffen, meiner Seele Brand,
Und meiner Liebesſonne dämmernd Scheinen,
Was noch entſchwinden wird und was entſchwand,
Das muß ich Alles dann in dir beweinen.
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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/182>, abgerufen am 03.12.2024.
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