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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Armuth und Verbrechen.

Eines Tages ging Schenk langsam in stumpfem
Brüten durch die Gassen. Seine Frau, das arme lie¬
bende, duldende Geschöpf, die nie über ihr Loos murrte
oder nur seufzte, hatte ihm am Tage vorher sagen müs¬
sen, daß sie nicht das Geringste mehr zum Essen im
Hause habe. Das Kind war lange krank gewesen und
hatte jetzt vom Arzt eine Pflege verordnet bekommen,
die die Armen seit Langem nicht mehr kannten. End¬
lich aber hatte der Hausmann Schenk beim Ausgehen
angehalten, und ihm barsch ins Gesicht gesagt: daß er
mit der rückständigen Miethe für die letzten drei Viertel¬
jahre nicht länger warten könne; wenn er daher am
folgenden Tage das Geld nicht erhalte, so müsse er die
Familie aus dem Hause weisen und sich an ihrem Ge¬
räth bezahlt zu machen suchen. Das letztere war für
den Unglücklichen die gräßlichste Drohung. Er hatte
nach und nach die einigermaßen entbehrlichen Stücke
aus seiner Wirthschaft in den Zeiten der höchsten Noth
versetzt, und besaß nur noch ebensoviel, um mit Weib
und Kind nicht auf dem harten Boden schlafen zu müs¬
sen. Wurde ihm auch das noch entrissen, so konnten
sie zusammen elend in der Straße sterben.

Schenk ging aus, ohne zu wissen, wohin, und ohne

Armuth und Verbrechen.

Eines Tages ging Schenk langſam in ſtumpfem
Bruͤten durch die Gaſſen. Seine Frau, das arme lie¬
bende, duldende Geſchoͤpf, die nie uͤber ihr Loos murrte
oder nur ſeufzte, hatte ihm am Tage vorher ſagen muͤſ¬
ſen, daß ſie nicht das Geringſte mehr zum Eſſen im
Hauſe habe. Das Kind war lange krank geweſen und
hatte jetzt vom Arzt eine Pflege verordnet bekommen,
die die Armen ſeit Langem nicht mehr kannten. End¬
lich aber hatte der Hausmann Schenk beim Ausgehen
angehalten, und ihm barſch ins Geſicht geſagt: daß er
mit der ruͤckſtaͤndigen Miethe fuͤr die letzten drei Viertel¬
jahre nicht laͤnger warten koͤnne; wenn er daher am
folgenden Tage das Geld nicht erhalte, ſo muͤſſe er die
Familie aus dem Hauſe weiſen und ſich an ihrem Ge¬
raͤth bezahlt zu machen ſuchen. Das letztere war fuͤr
den Ungluͤcklichen die graͤßlichſte Drohung. Er hatte
nach und nach die einigermaßen entbehrlichen Stuͤcke
aus ſeiner Wirthſchaft in den Zeiten der hoͤchſten Noth
verſetzt, und beſaß nur noch ebenſoviel, um mit Weib
und Kind nicht auf dem harten Boden ſchlafen zu muͤſ¬
ſen. Wurde ihm auch das noch entriſſen, ſo konnten
ſie zuſammen elend in der Straße ſterben.

Schenk ging aus, ohne zu wiſſen, wohin, und ohne

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[23/0037] Armuth und Verbrechen. Eines Tages ging Schenk langſam in ſtumpfem Bruͤten durch die Gaſſen. Seine Frau, das arme lie¬ bende, duldende Geſchoͤpf, die nie uͤber ihr Loos murrte oder nur ſeufzte, hatte ihm am Tage vorher ſagen muͤſ¬ ſen, daß ſie nicht das Geringſte mehr zum Eſſen im Hauſe habe. Das Kind war lange krank geweſen und hatte jetzt vom Arzt eine Pflege verordnet bekommen, die die Armen ſeit Langem nicht mehr kannten. End¬ lich aber hatte der Hausmann Schenk beim Ausgehen angehalten, und ihm barſch ins Geſicht geſagt: daß er mit der ruͤckſtaͤndigen Miethe fuͤr die letzten drei Viertel¬ jahre nicht laͤnger warten koͤnne; wenn er daher am folgenden Tage das Geld nicht erhalte, ſo muͤſſe er die Familie aus dem Hauſe weiſen und ſich an ihrem Ge¬ raͤth bezahlt zu machen ſuchen. Das letztere war fuͤr den Ungluͤcklichen die graͤßlichſte Drohung. Er hatte nach und nach die einigermaßen entbehrlichen Stuͤcke aus ſeiner Wirthſchaft in den Zeiten der hoͤchſten Noth verſetzt, und beſaß nur noch ebenſoviel, um mit Weib und Kind nicht auf dem harten Boden ſchlafen zu muͤſ¬ ſen. Wurde ihm auch das noch entriſſen, ſo konnten ſie zuſammen elend in der Straße ſterben. Schenk ging aus, ohne zu wiſſen, wohin, und ohne

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/37>, abgerufen am 23.11.2024.