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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Armuth und Verbrechen.
an ihm, und statt ihn in seinem Elend zu verlassen,
hatte sie sich mit doppelter Hingebung an ihn ange¬
schlossen. Ihr Herz blutete über das Vergehen und die
beschämende Lage ihres Geliebten, aber sie duldete schwei¬
gend, ohne einen Laut der Klage zu äußern. Sie machte
ihm keine Vorwürfe, sie redete ihm nie von ihrem Kum¬
mer, sie hoffte nur durch ihre Liebe ihn auf eine andere
Bahn zu führen. Schenk wurde tief ergriffen von dem
stummen Leiden dieser treuen Seele, und in stillen
Stunden sagte er sich oft, daß er noch einmal Alles
aufbieten wolle, um sich ein ehrliches Leben zu sichern,
und wenn ihm dies nicht gelänge, lieber vom Leben
als von der Ehrlichkeit zu lassen.


Die Sonne des Glücks schien noch einmal über den
beiden Liebenden aufgehen zu wollen.

Schenk erhielt unmittelbar nach seiner Freilassung
die Nachricht, daß eine alte Verwandte, deren er sich
kaum erinnerte, gestorben sei und ihm ein paar Hundert
Thaler hinterlassen habe. In dem befriedigenden Stolz
des Gefühls, seine Vorsätze nun ausführen zu können,

Armuth und Verbrechen.
an ihm, und ſtatt ihn in ſeinem Elend zu verlaſſen,
hatte ſie ſich mit doppelter Hingebung an ihn ange¬
ſchloſſen. Ihr Herz blutete uͤber das Vergehen und die
beſchaͤmende Lage ihres Geliebten, aber ſie duldete ſchwei¬
gend, ohne einen Laut der Klage zu aͤußern. Sie machte
ihm keine Vorwuͤrfe, ſie redete ihm nie von ihrem Kum¬
mer, ſie hoffte nur durch ihre Liebe ihn auf eine andere
Bahn zu fuͤhren. Schenk wurde tief ergriffen von dem
ſtummen Leiden dieſer treuen Seele, und in ſtillen
Stunden ſagte er ſich oft, daß er noch einmal Alles
aufbieten wolle, um ſich ein ehrliches Leben zu ſichern,
und wenn ihm dies nicht gelaͤnge, lieber vom Leben
als von der Ehrlichkeit zu laſſen.


Die Sonne des Gluͤcks ſchien noch einmal uͤber den
beiden Liebenden aufgehen zu wollen.

Schenk erhielt unmittelbar nach ſeiner Freilaſſung
die Nachricht, daß eine alte Verwandte, deren er ſich
kaum erinnerte, geſtorben ſei und ihm ein paar Hundert
Thaler hinterlaſſen habe. In dem befriedigenden Stolz
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[15/0029] Armuth und Verbrechen. an ihm, und ſtatt ihn in ſeinem Elend zu verlaſſen, hatte ſie ſich mit doppelter Hingebung an ihn ange¬ ſchloſſen. Ihr Herz blutete uͤber das Vergehen und die beſchaͤmende Lage ihres Geliebten, aber ſie duldete ſchwei¬ gend, ohne einen Laut der Klage zu aͤußern. Sie machte ihm keine Vorwuͤrfe, ſie redete ihm nie von ihrem Kum¬ mer, ſie hoffte nur durch ihre Liebe ihn auf eine andere Bahn zu fuͤhren. Schenk wurde tief ergriffen von dem ſtummen Leiden dieſer treuen Seele, und in ſtillen Stunden ſagte er ſich oft, daß er noch einmal Alles aufbieten wolle, um ſich ein ehrliches Leben zu ſichern, und wenn ihm dies nicht gelaͤnge, lieber vom Leben als von der Ehrlichkeit zu laſſen. Die Sonne des Gluͤcks ſchien noch einmal uͤber den beiden Liebenden aufgehen zu wollen. Schenk erhielt unmittelbar nach ſeiner Freilaſſung die Nachricht, daß eine alte Verwandte, deren er ſich kaum erinnerte, geſtorben ſei und ihm ein paar Hundert Thaler hinterlaſſen habe. In dem befriedigenden Stolz des Gefuͤhls, ſeine Vorſaͤtze nun ausfuͤhren zu koͤnnen,

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/29>, abgerufen am 23.11.2024.