Auch die Pensionsanstalt, in der Charlotte sich be¬ fand, sah sich durch das allgemeine Interesse bald genö¬ thigt, ihre Zöglinge jene Vorstellungen besuchen zu lassen. Das schöne, junge Mädchen hatte längst in dem Städt¬ chen die Aufmerksamkeit der jungen Leute erregt, und wenn sie sich an öffentlichen Orten zeigte, so war man gewohnt, die Blicke und Lorgnetten vorzugsweise nach ihr gerichtet zu sehen. Aber sie schien das nie zu bemerken, und auch diesmal war sie einzig mit der Vorstellung be¬ schäftigt.
Als der junge Aurelio, wie der Kunstreiter genannt wurde, den Circus betrat, begrüßte ihn der laute Bei¬ fall als das beste Mitglied der Gesellschaft. Charlotte betrachtete den schönen kräftigen Jüngling mit stiller Theilnahme, ihre Augen folgten ihm in erhöhter Bewun¬ derung, als er so leicht, so keck auf seinem prächtigen Schimmel stehend dahinflog, und ihr Herz schlug höher in ängstlicher Spannung, wenn er seine verwegne Kunst in tollkühnem Stolz auf eine allzugefährliche Probe zu stellen schien. Auch Aurelio schien bald in dem Kreis der Zuschauer die schönste Blume herausgefunden zu ha¬ ben. Sein schwarzes, glänzendes Auge haftete zuweilen brennend auf dem lieblichen Gesicht des Mädchens, und
Das Unvermeidliche.
Auch die Penſionsanſtalt, in der Charlotte ſich be¬ fand, ſah ſich durch das allgemeine Intereſſe bald genoͤ¬ thigt, ihre Zoͤglinge jene Vorſtellungen beſuchen zu laſſen. Das ſchoͤne, junge Maͤdchen hatte laͤngſt in dem Staͤdt¬ chen die Aufmerkſamkeit der jungen Leute erregt, und wenn ſie ſich an oͤffentlichen Orten zeigte, ſo war man gewohnt, die Blicke und Lorgnetten vorzugsweiſe nach ihr gerichtet zu ſehen. Aber ſie ſchien das nie zu bemerken, und auch diesmal war ſie einzig mit der Vorſtellung be¬ ſchaͤftigt.
Als der junge Aurelio, wie der Kunſtreiter genannt wurde, den Circus betrat, begruͤßte ihn der laute Bei¬ fall als das beſte Mitglied der Geſellſchaft. Charlotte betrachtete den ſchoͤnen kraͤftigen Juͤngling mit ſtiller Theilnahme, ihre Augen folgten ihm in erhoͤhter Bewun¬ derung, als er ſo leicht, ſo keck auf ſeinem praͤchtigen Schimmel ſtehend dahinflog, und ihr Herz ſchlug hoͤher in aͤngſtlicher Spannung, wenn er ſeine verwegne Kunſt in tollkuͤhnem Stolz auf eine allzugefaͤhrliche Probe zu ſtellen ſchien. Auch Aurelio ſchien bald in dem Kreis der Zuſchauer die ſchoͤnſte Blume herausgefunden zu ha¬ ben. Sein ſchwarzes, glaͤnzendes Auge haftete zuweilen brennend auf dem lieblichen Geſicht des Maͤdchens, und
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0204"n="190"/><fwplace="top"type="header">Das Unvermeidliche.<lb/></fw><p>Auch die Penſionsanſtalt, in der Charlotte ſich be¬<lb/>
fand, ſah ſich durch das allgemeine Intereſſe bald genoͤ¬<lb/>
thigt, ihre Zoͤglinge jene Vorſtellungen beſuchen zu laſſen.<lb/>
Das ſchoͤne, junge Maͤdchen hatte laͤngſt in dem Staͤdt¬<lb/>
chen die Aufmerkſamkeit der jungen Leute erregt, und<lb/>
wenn ſie ſich an oͤffentlichen Orten zeigte, ſo war man<lb/>
gewohnt, die Blicke und Lorgnetten vorzugsweiſe nach ihr<lb/>
gerichtet zu ſehen. Aber ſie ſchien das nie zu bemerken,<lb/>
und auch diesmal war ſie einzig mit der Vorſtellung be¬<lb/>ſchaͤftigt.</p><lb/><p>Als der junge Aurelio, wie der Kunſtreiter genannt<lb/>
wurde, den Circus betrat, begruͤßte ihn der laute Bei¬<lb/>
fall als das beſte Mitglied der Geſellſchaft. Charlotte<lb/>
betrachtete den ſchoͤnen kraͤftigen Juͤngling mit ſtiller<lb/>
Theilnahme, ihre Augen folgten ihm in erhoͤhter Bewun¬<lb/>
derung, als er ſo leicht, ſo keck auf ſeinem praͤchtigen<lb/>
Schimmel ſtehend dahinflog, und ihr Herz ſchlug hoͤher<lb/>
in aͤngſtlicher Spannung, wenn er ſeine verwegne Kunſt<lb/>
in tollkuͤhnem Stolz auf eine allzugefaͤhrliche Probe zu<lb/>ſtellen ſchien. Auch Aurelio ſchien bald in dem Kreis<lb/>
der Zuſchauer die ſchoͤnſte Blume herausgefunden zu ha¬<lb/>
ben. Sein ſchwarzes, glaͤnzendes Auge haftete zuweilen<lb/>
brennend auf dem lieblichen Geſicht des Maͤdchens, und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[190/0204]
Das Unvermeidliche.
Auch die Penſionsanſtalt, in der Charlotte ſich be¬
fand, ſah ſich durch das allgemeine Intereſſe bald genoͤ¬
thigt, ihre Zoͤglinge jene Vorſtellungen beſuchen zu laſſen.
Das ſchoͤne, junge Maͤdchen hatte laͤngſt in dem Staͤdt¬
chen die Aufmerkſamkeit der jungen Leute erregt, und
wenn ſie ſich an oͤffentlichen Orten zeigte, ſo war man
gewohnt, die Blicke und Lorgnetten vorzugsweiſe nach ihr
gerichtet zu ſehen. Aber ſie ſchien das nie zu bemerken,
und auch diesmal war ſie einzig mit der Vorſtellung be¬
ſchaͤftigt.
Als der junge Aurelio, wie der Kunſtreiter genannt
wurde, den Circus betrat, begruͤßte ihn der laute Bei¬
fall als das beſte Mitglied der Geſellſchaft. Charlotte
betrachtete den ſchoͤnen kraͤftigen Juͤngling mit ſtiller
Theilnahme, ihre Augen folgten ihm in erhoͤhter Bewun¬
derung, als er ſo leicht, ſo keck auf ſeinem praͤchtigen
Schimmel ſtehend dahinflog, und ihr Herz ſchlug hoͤher
in aͤngſtlicher Spannung, wenn er ſeine verwegne Kunſt
in tollkuͤhnem Stolz auf eine allzugefaͤhrliche Probe zu
ſtellen ſchien. Auch Aurelio ſchien bald in dem Kreis
der Zuſchauer die ſchoͤnſte Blume herausgefunden zu ha¬
ben. Sein ſchwarzes, glaͤnzendes Auge haftete zuweilen
brennend auf dem lieblichen Geſicht des Maͤdchens, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/204>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.