"Schwerlich, gnädige Frau!" fügte der Erzähler hin¬ zu, "Es wird dem Einzelnen schon so schwer, sich in der Fremde eine Stellung zu erringen, eine arme Familie aber geht dem traurigsten Loos entgegen. Und doch ha¬ ben sie dort noch mehr Hoffnung, als hier, von wo sie nur die Verzweiflung vertreibt. Man kann das Aus¬ wandern nie absolut verdammen, denn man weiß nicht, gegen welche unglücklichen Verhältnisse die Armen in ihrer Heimath vergebens angekämpft haben können, und der unglücklichen demoralisirenden Verhältnisse haben wir in der schönen Heimath so viele." --
"Ja, dieser arme Schuster ist auch ein Opfer solcher Verhältnisse geworden," sagte die Hausfrau. "Was meinen Sie, Herr Kriminalrath?" --
Der Kriminalrath zuckte die Achseln.
"Die Geschichte mag sich so verhalten," sagte er gleichgültig. "Es läßt sich aber wohl auch nicht ver¬ meiden, daß hin und wieder vielleicht Jemanden Unrecht geschieht, und selbst die vorgesetzten Behörden nicht im Stande sind, die Verhältnisse richtig zu erkennen. Das ist weiter nichts Außerordentliches, und mag wohl öfter vorfallen, als man es so erfährt." --
Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde.
„Schwerlich, gnaͤdige Frau!“ fuͤgte der Erzaͤhler hin¬ zu, „Es wird dem Einzelnen ſchon ſo ſchwer, ſich in der Fremde eine Stellung zu erringen, eine arme Familie aber geht dem traurigſten Loos entgegen. Und doch ha¬ ben ſie dort noch mehr Hoffnung, als hier, von wo ſie nur die Verzweiflung vertreibt. Man kann das Aus¬ wandern nie abſolut verdammen, denn man weiß nicht, gegen welche ungluͤcklichen Verhaͤltniſſe die Armen in ihrer Heimath vergebens angekaͤmpft haben koͤnnen, und der ungluͤcklichen demoraliſirenden Verhaͤltniſſe haben wir in der ſchoͤnen Heimath ſo viele.“ —
„Ja, dieſer arme Schuſter iſt auch ein Opfer ſolcher Verhaͤltniſſe geworden,“ ſagte die Hausfrau. „Was meinen Sie, Herr Kriminalrath?“ —
Der Kriminalrath zuckte die Achſeln.
„Die Geſchichte mag ſich ſo verhalten,“ ſagte er gleichguͤltig. „Es laͤßt ſich aber wohl auch nicht ver¬ meiden, daß hin und wieder vielleicht Jemanden Unrecht geſchieht, und ſelbſt die vorgeſetzten Behoͤrden nicht im Stande ſind, die Verhaͤltniſſe richtig zu erkennen. Das iſt weiter nichts Außerordentliches, und mag wohl oͤfter vorfallen, als man es ſo erfaͤhrt.“ —
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Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde.
„Schwerlich, gnaͤdige Frau!“ fuͤgte der Erzaͤhler hin¬
zu, „Es wird dem Einzelnen ſchon ſo ſchwer, ſich in
der Fremde eine Stellung zu erringen, eine arme Familie
aber geht dem traurigſten Loos entgegen. Und doch ha¬
ben ſie dort noch mehr Hoffnung, als hier, von wo ſie
nur die Verzweiflung vertreibt. Man kann das Aus¬
wandern nie abſolut verdammen, denn man weiß nicht,
gegen welche ungluͤcklichen Verhaͤltniſſe die Armen in ihrer
Heimath vergebens angekaͤmpft haben koͤnnen, und der
ungluͤcklichen demoraliſirenden Verhaͤltniſſe haben wir in
der ſchoͤnen Heimath ſo viele.“ —
„Ja, dieſer arme Schuſter iſt auch ein Opfer ſolcher
Verhaͤltniſſe geworden,“ ſagte die Hausfrau. „Was
meinen Sie, Herr Kriminalrath?“ —
Der Kriminalrath zuckte die Achſeln.
„Die Geſchichte mag ſich ſo verhalten,“ ſagte er
gleichguͤltig. „Es laͤßt ſich aber wohl auch nicht ver¬
meiden, daß hin und wieder vielleicht Jemanden Unrecht
geſchieht, und ſelbſt die vorgeſetzten Behoͤrden nicht im
Stande ſind, die Verhaͤltniſſe richtig zu erkennen. Das
iſt weiter nichts Außerordentliches, und mag wohl oͤfter
vorfallen, als man es ſo erfaͤhrt.“ —
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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/154>, abgerufen am 07.07.2024.
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