Als Mathilde nach einer gräßlich durchwachten Nacht in's Verhör genommen und aus dem Polizeigefängniß nach dem Arbeitshaus transportirt worden war, wurde sie hier in einen großen Saal gewiesen, wo sie in Ge¬ meinschaft mit einer großen Menge von Frauen und Mädchen arbeiten mußte. Das Bewußtsein ihrer schimpf¬ lichen Lage, die tiefe Niedergeschlagenheit, welche sich ihrer schon während ihres letzten, langen Elends bemächtigt hatte, die Gedanken an ihre trostlose Zukunft, die jetzt auch durch den bittern Entschluß der Trennung von ihrem Kinde wohl schwerlich mehr zu bessern sein würde, Alles das versetzte ihr Gemüth nach der ersten Raserei der Verzweiflung in eine tiefe, starre Stumpfheit. Die Ge¬ sellschaft, in die man sie hier gewiesen, hatte sie mit der Theilnahme Gleichgesinnter begrüßt. Mathilde hatte sich Anfangs ihre Geschichte entlocken lassen; einige hatten sie darüber ausgelacht, andere ihr ein Mittel gesagt, durch welches sie einer polizeilichen Ausweisung trotzen könne. Mathilde erschrak bis in das Innerste ihrer Seele. Sie wandte sich von da an mit um so größerm Ekel von ihren Genossinnen ab, als sie sich zu ihrem Entsetzen gestehen mußte, daß sie selbst bereits den Weg zu diesem Ende betreten habe. Schweigend und gleichgültig ließ sie
Die Suͤnderin,
Als Mathilde nach einer graͤßlich durchwachten Nacht in's Verhoͤr genommen und aus dem Polizeigefaͤngniß nach dem Arbeitshaus transportirt worden war, wurde ſie hier in einen großen Saal gewieſen, wo ſie in Ge¬ meinſchaft mit einer großen Menge von Frauen und Maͤdchen arbeiten mußte. Das Bewußtſein ihrer ſchimpf¬ lichen Lage, die tiefe Niedergeſchlagenheit, welche ſich ihrer ſchon waͤhrend ihres letzten, langen Elends bemaͤchtigt hatte, die Gedanken an ihre troſtloſe Zukunft, die jetzt auch durch den bittern Entſchluß der Trennung von ihrem Kinde wohl ſchwerlich mehr zu beſſern ſein wuͤrde, Alles das verſetzte ihr Gemuͤth nach der erſten Raſerei der Verzweiflung in eine tiefe, ſtarre Stumpfheit. Die Ge¬ ſellſchaft, in die man ſie hier gewieſen, hatte ſie mit der Theilnahme Gleichgeſinnter begruͤßt. Mathilde hatte ſich Anfangs ihre Geſchichte entlocken laſſen; einige hatten ſie daruͤber ausgelacht, andere ihr ein Mittel geſagt, durch welches ſie einer polizeilichen Ausweiſung trotzen koͤnne. Mathilde erſchrak bis in das Innerſte ihrer Seele. Sie wandte ſich von da an mit um ſo groͤßerm Ekel von ihren Genoſſinnen ab, als ſie ſich zu ihrem Entſetzen geſtehen mußte, daß ſie ſelbſt bereits den Weg zu dieſem Ende betreten habe. Schweigend und gleichguͤltig ließ ſie
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Die Suͤnderin,
Als Mathilde nach einer graͤßlich durchwachten Nacht
in's Verhoͤr genommen und aus dem Polizeigefaͤngniß
nach dem Arbeitshaus transportirt worden war, wurde
ſie hier in einen großen Saal gewieſen, wo ſie in Ge¬
meinſchaft mit einer großen Menge von Frauen und
Maͤdchen arbeiten mußte. Das Bewußtſein ihrer ſchimpf¬
lichen Lage, die tiefe Niedergeſchlagenheit, welche ſich ihrer
ſchon waͤhrend ihres letzten, langen Elends bemaͤchtigt
hatte, die Gedanken an ihre troſtloſe Zukunft, die jetzt
auch durch den bittern Entſchluß der Trennung von ihrem
Kinde wohl ſchwerlich mehr zu beſſern ſein wuͤrde, Alles
das verſetzte ihr Gemuͤth nach der erſten Raſerei der
Verzweiflung in eine tiefe, ſtarre Stumpfheit. Die Ge¬
ſellſchaft, in die man ſie hier gewieſen, hatte ſie mit der
Theilnahme Gleichgeſinnter begruͤßt. Mathilde hatte ſich
Anfangs ihre Geſchichte entlocken laſſen; einige hatten ſie
daruͤber ausgelacht, andere ihr ein Mittel geſagt, durch
welches ſie einer polizeilichen Ausweiſung trotzen koͤnne.
Mathilde erſchrak bis in das Innerſte ihrer Seele. Sie
wandte ſich von da an mit um ſo groͤßerm Ekel von
ihren Genoſſinnen ab, als ſie ſich zu ihrem Entſetzen
geſtehen mußte, daß ſie ſelbſt bereits den Weg zu dieſem
Ende betreten habe. Schweigend und gleichguͤltig ließ ſie
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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/104>, abgerufen am 31.07.2024.
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