len von der Pflicht zu dispensiren -- ganz redlich und wahr zu seyn. Besonders scheint mir die Befugniß, die Worte in einem andern Sinn, als der, welcher ih- nen trauet, sie nimmt, nehmen, sie bey sich selbst durch heimlich zugedachte Worte vernichten zu dürfen, -- immer für die moralische Würde zu gefährlich, als daß sie durch irgend einen Vorwand gerechtfertigt werden könnte. Ich vermuthe daß die jüdischen Lehrer diese Unterscheidungen nicht so- wohl erfunden, als da sie einmal durch die schon herr- schende Sittenverderbniß eingeführt waren, nur nach- gegeben und um die Heiligkeit des Eydes desto mehr zu sichern, so genau wie möglich bestimmt haben. Sie dachten vielleicht nicht daran, wie eben diese Bestimmungen dem Betrug und Eigennutz zu noch mehrern Anleitung werden müßten und wie kein Schade so groß sey als der, die Menschen zu Ver- letzung der Wahrheit zu gewöhnen. Die Distinction zwischen Lüge und Unwahrheit ist oft im wirk- lichem Leben zu sein, als daß nicht zuweilen im Ge- dränge der Leidenschaft diese Begriffe verwechselt wer- den sollten; auch ein ersetzlicher Schade kann zu- weilen als ein unersetzlicher betrachtet werden; und es können sich Fälle ergeben, wo wir auch eine rechtmäßige Gewalt uns einen Eyd abzufodern,
der
len von der Pflicht zu diſpenſiren — ganz redlich und wahr zu ſeyn. Beſonders ſcheint mir die Befugniß, die Worte in einem andern Sinn, als der, welcher ih- nen trauet, ſie nimmt, nehmen, ſie bey ſich ſelbſt durch heimlich zugedachte Worte vernichten zu duͤrfen, — immer fuͤr die moraliſche Wuͤrde zu gefaͤhrlich, als daß ſie durch irgend einen Vorwand gerechtfertigt werden koͤnnte. Ich vermuthe daß die juͤdiſchen Lehrer dieſe Unterſcheidungen nicht ſo- wohl erfunden, als da ſie einmal durch die ſchon herr- ſchende Sittenverderbniß eingefuͤhrt waren, nur nach- gegeben und um die Heiligkeit des Eydes deſto mehr zu ſichern, ſo genau wie moͤglich beſtimmt haben. Sie dachten vielleicht nicht daran, wie eben dieſe Beſtimmungen dem Betrug und Eigennutz zu noch mehrern Anleitung werden muͤßten und wie kein Schade ſo groß ſey als der, die Menſchen zu Ver- letzung der Wahrheit zu gewoͤhnen. Die Diſtinction zwiſchen Luͤge und Unwahrheit iſt oft im wirk- lichem Leben zu ſein, als daß nicht zuweilen im Ge- draͤnge der Leidenſchaft dieſe Begriffe verwechſelt wer- den ſollten; auch ein erſetzlicher Schade kann zu- weilen als ein unerſetzlicher betrachtet werden; und es koͤnnen ſich Faͤlle ergeben, wo wir auch eine rechtmaͤßige Gewalt uns einen Eyd abzufodern,
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len von der Pflicht zu diſpenſiren — ganz redlich und
wahr zu ſeyn. Beſonders ſcheint mir die Befugniß, die
Worte in einem andern Sinn, als der, welcher ih-
nen trauet, ſie nimmt, nehmen, ſie bey ſich ſelbſt
durch heimlich zugedachte Worte vernichten
zu duͤrfen, — immer fuͤr die moraliſche Wuͤrde zu
gefaͤhrlich, als daß ſie durch irgend einen Vorwand
gerechtfertigt werden koͤnnte. Ich vermuthe daß
die juͤdiſchen Lehrer dieſe Unterſcheidungen nicht ſo-
wohl erfunden, als da ſie einmal durch die ſchon herr-
ſchende Sittenverderbniß eingefuͤhrt waren, nur nach-
gegeben und um die Heiligkeit des Eydes deſto mehr
zu ſichern, ſo genau wie moͤglich beſtimmt haben.
Sie dachten vielleicht nicht daran, wie eben dieſe
Beſtimmungen dem Betrug und Eigennutz zu noch
mehrern Anleitung werden muͤßten und wie kein
Schade ſo groß ſey als der, die Menſchen zu Ver-
letzung der Wahrheit zu gewoͤhnen. Die Diſtinction
zwiſchen Luͤge und Unwahrheit iſt oft im wirk-
lichem Leben zu ſein, als daß nicht zuweilen im Ge-
draͤnge der Leidenſchaft dieſe Begriffe verwechſelt wer-
den ſollten; auch ein erſetzlicher Schade kann zu-
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/346>, abgerufen am 23.11.2024.
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