"ders der einem Christen geschworne, erlassen." Dieser Grund scheint noch weit mehr zu beweisen, als hier bewiesen werden soll. Wenn am Versöh- nungstage alle Sünden ohne Ausnahme vergeben worden; wenn die Juden im Vertrauen auf diese Vergebung, sie zu begehen wagen: so ist dieß über- haupt ein Grund, der ihre sittliche Besserung zurück- halten muß, so ist man berechtigt, jedes Laster von ihnen zu erwarten.
So ganz unrecht ist nun freylich wohl diese Folge in dem eben angegebenem allgemeinern Sinn nicht abgezogen. Allerdings ist die Lehre von der Ver- gebung der Sünden und der durch gewisse Heil- mittel urplötzlich zu bewirkenden Seelen-Reinigkeit und Gewisheit der ewigen Seeligkeit, in der jüdi- schen und wohl noch mehr in der christlichen Theolo- gie oft so vorgestellt worden, daß sie den gesunden Menschenverstand und das gerade Gefühl von Recht und Unrecht irre führen, auf die Moralität des ge- meinen Mannes einen schädlichen Einfluß beweisen und seine ohnedem wenig entwickelte Begriffe von dem, was eigentlich in diesem und einem andern Leben ihn glücklich machen könne, noch mehr verwirren müssen. Die leyder nur noch immer zu sehr herrschende Lehre von der alleinseeligmachenden
Kraft
„ders der einem Chriſten geſchworne, erlaſſen.“ Dieſer Grund ſcheint noch weit mehr zu beweiſen, als hier bewieſen werden ſoll. Wenn am Verſoͤh- nungstage alle Suͤnden ohne Ausnahme vergeben worden; wenn die Juden im Vertrauen auf dieſe Vergebung, ſie zu begehen wagen: ſo iſt dieß uͤber- haupt ein Grund, der ihre ſittliche Beſſerung zuruͤck- halten muß, ſo iſt man berechtigt, jedes Laſter von ihnen zu erwarten.
So ganz unrecht iſt nun freylich wohl dieſe Folge in dem eben angegebenem allgemeinern Sinn nicht abgezogen. Allerdings iſt die Lehre von der Ver- gebung der Suͤnden und der durch gewiſſe Heil- mittel urploͤtzlich zu bewirkenden Seelen-Reinigkeit und Gewisheit der ewigen Seeligkeit, in der juͤdi- ſchen und wohl noch mehr in der chriſtlichen Theolo- gie oft ſo vorgeſtellt worden, daß ſie den geſunden Menſchenverſtand und das gerade Gefuͤhl von Recht und Unrecht irre fuͤhren, auf die Moralitaͤt des ge- meinen Mannes einen ſchaͤdlichen Einfluß beweiſen und ſeine ohnedem wenig entwickelte Begriffe von dem, was eigentlich in dieſem und einem andern Leben ihn gluͤcklich machen koͤnne, noch mehr verwirren muͤſſen. Die leyder nur noch immer zu ſehr herrſchende Lehre von der alleinſeeligmachenden
Kraft
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„ders der einem Chriſten geſchworne, erlaſſen.“
Dieſer Grund ſcheint noch weit mehr zu beweiſen,
als hier bewieſen werden ſoll. Wenn am Verſoͤh-
nungstage alle Suͤnden ohne Ausnahme vergeben
worden; wenn die Juden im Vertrauen auf dieſe
Vergebung, ſie zu begehen wagen: ſo iſt dieß uͤber-
haupt ein Grund, der ihre ſittliche Beſſerung zuruͤck-
halten muß, ſo iſt man berechtigt, jedes Laſter von
ihnen zu erwarten.
So ganz unrecht iſt nun freylich wohl dieſe Folge
in dem eben angegebenem allgemeinern Sinn nicht
abgezogen. Allerdings iſt die Lehre von der Ver-
gebung der Suͤnden und der durch gewiſſe Heil-
mittel urploͤtzlich zu bewirkenden Seelen-Reinigkeit
und Gewisheit der ewigen Seeligkeit, in der juͤdi-
ſchen und wohl noch mehr in der chriſtlichen Theolo-
gie oft ſo vorgeſtellt worden, daß ſie den geſunden
Menſchenverſtand und das gerade Gefuͤhl von Recht
und Unrecht irre fuͤhren, auf die Moralitaͤt des ge-
meinen Mannes einen ſchaͤdlichen Einfluß beweiſen
und ſeine ohnedem wenig entwickelte Begriffe von
dem, was eigentlich in dieſem und einem andern
Leben ihn gluͤcklich machen koͤnne, noch mehr
verwirren muͤſſen. Die leyder nur noch immer zu
ſehr herrſchende Lehre von der alleinſeeligmachenden
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/334>, abgerufen am 24.11.2024.
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