ren haben. Die nicht mehr passenden Lehren bleiben oft in Büchern zurück, aber sie haben keinen Ein- fluß mehr auf die Handlungen, und verliehren sich allmählig so sehr aus dem Verstande und selbst dem Gedächtniß der Bekenner, daß man am Ende zwei- felt, ob sie auch wirklich je zu dem heiligen Glauben gehört haben möchten? Auch die christliche Religion liefert hievon ein auffallendes Beyspiel. Ehe sie von den Beherrschern und dem größten Theil im römi- schen Reiche angenommen wurde, und nur der Glau- be einer kleinen verachteten Secte war, wurden auch von ihren größten Lehrern sittliche Grundsätze be- hauptet, die mit dem Wohl der bürgerlichen Gesell- schaft ganz unverträglich waren, und die eine Ver- muthung, daß die Christen nie ganz brauchbare Glie- der derselben werden könnten, rechtfertigten. Aber diese Grundsätze verlohren sich almählig, als der größere Theil der Bürger sich taufen ließ. Der Staat hätte nicht bestehen können, wenn Grundsätze (wie ich deren einige anführen werde) wären befolgt worden. Die Religion mußte also dem Vortheil des Staats gemäß umgebildet werden, und dieß wird allemal der Fall seyn, wenn nur der natürliche Lauf der Dinge nicht gehemmt wird.
Merk-
ren haben. Die nicht mehr paſſenden Lehren bleiben oft in Buͤchern zuruͤck, aber ſie haben keinen Ein- fluß mehr auf die Handlungen, und verliehren ſich allmaͤhlig ſo ſehr aus dem Verſtande und ſelbſt dem Gedaͤchtniß der Bekenner, daß man am Ende zwei- felt, ob ſie auch wirklich je zu dem heiligen Glauben gehoͤrt haben moͤchten? Auch die chriſtliche Religion liefert hievon ein auffallendes Beyſpiel. Ehe ſie von den Beherrſchern und dem groͤßten Theil im roͤmi- ſchen Reiche angenommen wurde, und nur der Glau- be einer kleinen verachteten Secte war, wurden auch von ihren groͤßten Lehrern ſittliche Grundſaͤtze be- hauptet, die mit dem Wohl der buͤrgerlichen Geſell- ſchaft ganz unvertraͤglich waren, und die eine Ver- muthung, daß die Chriſten nie ganz brauchbare Glie- der derſelben werden koͤnnten, rechtfertigten. Aber dieſe Grundſaͤtze verlohren ſich almaͤhlig, als der groͤßere Theil der Buͤrger ſich taufen ließ. Der Staat haͤtte nicht beſtehen koͤnnen, wenn Grundſaͤtze (wie ich deren einige anfuͤhren werde) waͤren befolgt worden. Die Religion mußte alſo dem Vortheil des Staats gemaͤß umgebildet werden, und dieß wird allemal der Fall ſeyn, wenn nur der natuͤrliche Lauf der Dinge nicht gehemmt wird.
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ren haben. Die nicht mehr paſſenden Lehren bleiben
oft in Buͤchern zuruͤck, aber ſie haben keinen Ein-
fluß mehr auf die Handlungen, und verliehren ſich
allmaͤhlig ſo ſehr aus dem Verſtande und ſelbſt dem
Gedaͤchtniß der Bekenner, daß man am Ende zwei-
felt, ob ſie auch wirklich je zu dem heiligen Glauben
gehoͤrt haben moͤchten? Auch die chriſtliche Religion
liefert hievon ein auffallendes Beyſpiel. Ehe ſie von
den Beherrſchern und dem groͤßten Theil im roͤmi-
ſchen Reiche angenommen wurde, und nur der Glau-
be einer kleinen verachteten Secte war, wurden auch
von ihren groͤßten Lehrern ſittliche Grundſaͤtze be-
hauptet, die mit dem Wohl der buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft ganz unvertraͤglich waren, und die eine Ver-
muthung, daß die Chriſten nie ganz brauchbare Glie-
der derſelben werden koͤnnten, rechtfertigten. Aber
dieſe Grundſaͤtze verlohren ſich almaͤhlig, als der
groͤßere Theil der Buͤrger ſich taufen ließ. Der
Staat haͤtte nicht beſtehen koͤnnen, wenn Grundſaͤtze
(wie ich deren einige anfuͤhren werde) waͤren befolgt
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/196>, abgerufen am 22.11.2024.
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