Sonderbar genug hat man zwar bisher allenthalben, England ausgenommen, nur allein den Verehrern der doch von allen Partheyen anerkannten und als das Wichtigste und Wesentlichste ihrer besondern Lehrbegrif- fe behaupteten natürlichen Religion, die Freyheit ver- sagt, für sich eine kirchliche Gesellschaft auszumachen und sich ohne Einmischung von ihnen für irrig gehaltener Grundsätze zu erbauen; eine Freyheit, die man so oft den Bekennern auch der ungereimtesten Lehren (freylich mit Recht) verstattet hat. Aber vieleicht liegt die Ursache darinn, daß die Bekenner der Vernunftre- ligion sich bisher nicht so zahlreich an einzelnen Or- ten gefunden haben, um an eine Vereinigung zu denken, und ich habe das Vertrauen zu der Erleuch- tung unserer Zeiten, daß man auch bloß auf reine Wahrheiten der natürlichen Religion und Sittenleh- re gerichteten Unterricht und Erbauung (versteht sich ohne alles Beleidigende der andern Partheyen) wil- lig verstatten werde. Wenigstens würde die Nicht- verstattung dieser Freyheit äußerst inconsequent und ein Beweis seyn, daß die Begriffe von Toleranz in ihrer ganzen Klarheit bisher nur noch in einigen Schriften, aber noch nicht in den Köpfen Derer aufgehellt sind, denen die Menschen die Be- sorgung ihrer Angelegenheiten anvertrauet ha-
ben.
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Sonderbar genug hat man zwar bisher allenthalben, England ausgenommen, nur allein den Verehrern der doch von allen Partheyen anerkannten und als das Wichtigſte und Weſentlichſte ihrer beſondern Lehrbegrif- fe behaupteten natuͤrlichen Religion, die Freyheit ver- ſagt, fuͤr ſich eine kirchliche Geſellſchaft auszumachen und ſich ohne Einmiſchung von ihnen fuͤr irrig gehaltener Grundſaͤtze zu erbauen; eine Freyheit, die man ſo oft den Bekennern auch der ungereimteſten Lehren (freylich mit Recht) verſtattet hat. Aber vieleicht liegt die Urſache darinn, daß die Bekenner der Vernunftre- ligion ſich bisher nicht ſo zahlreich an einzelnen Or- ten gefunden haben, um an eine Vereinigung zu denken, und ich habe das Vertrauen zu der Erleuch- tung unſerer Zeiten, daß man auch bloß auf reine Wahrheiten der natuͤrlichen Religion und Sittenleh- re gerichteten Unterricht und Erbauung (verſteht ſich ohne alles Beleidigende der andern Partheyen) wil- lig verſtatten werde. Wenigſtens wuͤrde die Nicht- verſtattung dieſer Freyheit aͤußerſt inconſequent und ein Beweis ſeyn, daß die Begriffe von Toleranz in ihrer ganzen Klarheit bisher nur noch in einigen Schriften, aber noch nicht in den Koͤpfen Derer aufgehellt ſind, denen die Menſchen die Be- ſorgung ihrer Angelegenheiten anvertrauet ha-
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Sonderbar genug hat man zwar bisher allenthalben,
England ausgenommen, nur allein den Verehrern der
doch von allen Partheyen anerkannten und als das
Wichtigſte und Weſentlichſte ihrer beſondern Lehrbegrif-
fe behaupteten natuͤrlichen Religion, die Freyheit ver-
ſagt, fuͤr ſich eine kirchliche Geſellſchaft auszumachen und
ſich ohne Einmiſchung von ihnen fuͤr irrig gehaltener
Grundſaͤtze zu erbauen; eine Freyheit, die man ſo oft den
Bekennern auch der ungereimteſten Lehren (freylich
mit Recht) verſtattet hat. Aber vieleicht liegt die
Urſache darinn, daß die Bekenner der Vernunftre-
ligion ſich bisher nicht ſo zahlreich an einzelnen Or-
ten gefunden haben, um an eine Vereinigung zu
denken, und ich habe das Vertrauen zu der Erleuch-
tung unſerer Zeiten, daß man auch bloß auf reine
Wahrheiten der natuͤrlichen Religion und Sittenleh-
re gerichteten Unterricht und Erbauung (verſteht ſich
ohne alles Beleidigende der andern Partheyen) wil-
lig verſtatten werde. Wenigſtens wuͤrde die Nicht-
verſtattung dieſer Freyheit aͤußerſt inconſequent
und ein Beweis ſeyn, daß die Begriffe von
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/189>, abgerufen am 18.12.2024.
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