seinem jüdischen Nachbarn entziehen, er hat Vorur- theile wider ihn, und wer ist so beredt, sie ihm neh- men zu können? Und nun fragt sich's nicht allein, ob der Jude ein besserer Bauer seyn würde? son- dern, ob wir ohne ihn nicht Hände gnug haben, den Ackerbau zu betreiben? Wenn der Jude in un- serer Gegend nicht früher das Recht haben sollte, ein Erbe an sich zu bringen, bis es an eben so guten christlichen Subjecten fehlte; so würd' er in Ewigkeit keins erhalten. An andern Orten mag's anders seyn. Oder sollen die Christen etwa zurück stehen? Das wäre Ungerechtigkeit auf der andern Seite. So sehr uns die Juden von den ersten Beinkleidern an in der Handlungsindüstrie übertreffen, so sehr übertreffen unsre Baurenjungen wieder sie in dem, was zum Ackerbau erfordert wird. Jeder also in seinem Fa- che. Wir müssen die Menschen nehmen, wie sie sind, und nicht wie wir sie uns wohl modeln mög- ten, und da würd' es kein christlicher Bauer in ei- nem christlichen Staate, in dem er einheimisch, und der älteste Einwohner ist, einem Juden vergeben, wenn er das Erbe auch seines entferntesten Verwand- ten an sich brächte. Wir haben die Feyertage so viel abgeschaft, als wir konnten, aber den Sonntag ha- ben wir den Christen doch gelassen, und den Sab-
bath
ſeinem juͤdiſchen Nachbarn entziehen, er hat Vorur- theile wider ihn, und wer iſt ſo beredt, ſie ihm neh- men zu koͤnnen? Und nun fragt ſich’s nicht allein, ob der Jude ein beſſerer Bauer ſeyn wuͤrde? ſon- dern, ob wir ohne ihn nicht Haͤnde gnug haben, den Ackerbau zu betreiben? Wenn der Jude in un- ſerer Gegend nicht fruͤher das Recht haben ſollte, ein Erbe an ſich zu bringen, bis es an eben ſo guten chriſtlichen Subjecten fehlte; ſo wuͤrd’ er in Ewigkeit keins erhalten. An andern Orten mag’s anders ſeyn. Oder ſollen die Chriſten etwa zuruͤck ſtehen? Das waͤre Ungerechtigkeit auf der andern Seite. So ſehr uns die Juden von den erſten Beinkleidern an in der Handlungsinduͤſtrie uͤbertreffen, ſo ſehr uͤbertreffen unſre Baurenjungen wieder ſie in dem, was zum Ackerbau erfordert wird. Jeder alſo in ſeinem Fa- che. Wir muͤſſen die Menſchen nehmen, wie ſie ſind, und nicht wie wir ſie uns wohl modeln moͤg- ten, und da wuͤrd’ es kein chriſtlicher Bauer in ei- nem chriſtlichen Staate, in dem er einheimiſch, und der aͤlteſte Einwohner iſt, einem Juden vergeben, wenn er das Erbe auch ſeines entfernteſten Verwand- ten an ſich braͤchte. Wir haben die Feyertage ſo viel abgeſchaft, als wir konnten, aber den Sonntag ha- ben wir den Chriſten doch gelaſſen, und den Sab-
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ſeinem juͤdiſchen Nachbarn entziehen, er hat Vorur-
theile wider ihn, und wer iſt ſo beredt, ſie ihm neh-
men zu koͤnnen? Und nun fragt ſich’s nicht allein,
ob der Jude ein beſſerer Bauer ſeyn wuͤrde? ſon-
dern, ob wir ohne ihn nicht Haͤnde gnug haben,
den Ackerbau zu betreiben? Wenn der Jude in un-
ſerer Gegend nicht fruͤher das Recht haben ſollte,
ein Erbe an ſich zu bringen, bis es an eben ſo guten
chriſtlichen Subjecten fehlte; ſo wuͤrd’ er in Ewigkeit
keins erhalten. An andern Orten mag’s anders ſeyn.
Oder ſollen die Chriſten etwa zuruͤck ſtehen? Das
waͤre Ungerechtigkeit auf der andern Seite. So ſehr
uns die Juden von den erſten Beinkleidern an in der
Handlungsinduͤſtrie uͤbertreffen, ſo ſehr uͤbertreffen
unſre Baurenjungen wieder ſie in dem, was zum
Ackerbau erfordert wird. Jeder alſo in ſeinem Fa-
che. Wir muͤſſen die Menſchen nehmen, wie ſie
ſind, und nicht wie wir ſie uns wohl modeln moͤg-
ten, und da wuͤrd’ es kein chriſtlicher Bauer in ei-
nem chriſtlichen Staate, in dem er einheimiſch, und
der aͤlteſte Einwohner iſt, einem Juden vergeben,
wenn er das Erbe auch ſeines entfernteſten Verwand-
ten an ſich braͤchte. Wir haben die Feyertage ſo viel
abgeſchaft, als wir konnten, aber den Sonntag ha-
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/110>, abgerufen am 24.11.2024.
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