Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

wir ihn so nennen; aber was wird damit ausge-
macht? Nichts, denn widerlegen und überzeugen
ist zweyerley.

Diese Wahrheiten sind, denk ich, von der Art,
daß sie sich jeder sagen könnte; ich will und kann sie
also nicht für neu ausgeben. Aber warum hassen,
verfolgen und unterdrücken wir denn die Juden?
Weil sie uns vervortheilen? Daran sind wir selbst
Schuld, wir zwingen sie zum Wucher, um die Ab-
gaben bestreiten zu können, die uns sonst, bey blei-
benden Staatsbedürfnissen, selbst mit treffen wür-
den. Oder weil sie Christum gekreuzigt haben? Bat
doch Christus selbst für sie, weil sie nicht wusten,
was sie thaten
, und Petrus rechnete es den Mör-
dern selbst nicht einmal an. Nun lieben Brüder,
ich weiß es; daß ihr's durch Unwissenheit ge-
than habt, wie auch eure Obersten
. Apost. Ge-
schichte 3, 17. Sollten wir es denn eine unglückli-
che Nachkommenschaft noch nach mehr als 1700 Jah-
ren entgelten lassen, die vielleicht nicht einmal von
jenen Juden abstammen, die Christum ermordeten?
Ein Sohn soll nicht tragen die Missethat des
Vaters
, und wir solltens unglückliche Enkel thun
lassen, die schon durch 50 und mehr Generationen
von jenen entfernt sind? Oder sollen wir sie etwa

des-

wir ihn ſo nennen; aber was wird damit ausge-
macht? Nichts, denn widerlegen und uͤberzeugen
iſt zweyerley.

Dieſe Wahrheiten ſind, denk ich, von der Art,
daß ſie ſich jeder ſagen koͤnnte; ich will und kann ſie
alſo nicht fuͤr neu ausgeben. Aber warum haſſen,
verfolgen und unterdruͤcken wir denn die Juden?
Weil ſie uns vervortheilen? Daran ſind wir ſelbſt
Schuld, wir zwingen ſie zum Wucher, um die Ab-
gaben beſtreiten zu koͤnnen, die uns ſonſt, bey blei-
benden Staatsbeduͤrfniſſen, ſelbſt mit treffen wuͤr-
den. Oder weil ſie Chriſtum gekreuzigt haben? Bat
doch Chriſtus ſelbſt fuͤr ſie, weil ſie nicht wuſten,
was ſie thaten
, und Petrus rechnete es den Moͤr-
dern ſelbſt nicht einmal an. Nun lieben Bruͤder,
ich weiß es; daß ihr’s durch Unwiſſenheit ge-
than habt, wie auch eure Oberſten
. Apoſt. Ge-
ſchichte 3, 17. Sollten wir es denn eine ungluͤckli-
che Nachkommenſchaft noch nach mehr als 1700 Jah-
ren entgelten laſſen, die vielleicht nicht einmal von
jenen Juden abſtammen, die Chriſtum ermordeten?
Ein Sohn ſoll nicht tragen die Miſſethat des
Vaters
, und wir ſolltens ungluͤckliche Enkel thun
laſſen, die ſchon durch 50 und mehr Generationen
von jenen entfernt ſind? Oder ſollen wir ſie etwa

des-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="96"/>
wir ihn &#x017F;o nennen; aber was wird damit ausge-<lb/>
macht? Nichts, denn widerlegen und u&#x0364;berzeugen<lb/>
i&#x017F;t zweyerley.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Wahrheiten &#x017F;ind, denk ich, von der Art,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich jeder &#x017F;agen ko&#x0364;nnte; ich will und kann &#x017F;ie<lb/>
al&#x017F;o nicht fu&#x0364;r neu ausgeben. Aber warum ha&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
verfolgen und unterdru&#x0364;cken wir denn die Juden?<lb/>
Weil &#x017F;ie uns vervortheilen? Daran &#x017F;ind wir &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
Schuld, wir zwingen &#x017F;ie zum Wucher, um die Ab-<lb/>
gaben be&#x017F;treiten zu ko&#x0364;nnen, die uns &#x017F;on&#x017F;t, bey blei-<lb/>
benden Staatsbedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;elb&#x017F;t mit treffen wu&#x0364;r-<lb/>
den. Oder weil &#x017F;ie Chri&#x017F;tum gekreuzigt haben? Bat<lb/>
doch Chri&#x017F;tus &#x017F;elb&#x017F;t fu&#x0364;r &#x017F;ie, <hi rendition="#fr">weil &#x017F;ie nicht wu&#x017F;ten,<lb/>
was &#x017F;ie thaten</hi>, und Petrus rechnete es den Mo&#x0364;r-<lb/>
dern &#x017F;elb&#x017F;t nicht einmal an. <hi rendition="#fr">Nun lieben Bru&#x0364;der,<lb/>
ich weiß es; daß ihr&#x2019;s durch Unwi&#x017F;&#x017F;enheit ge-<lb/>
than habt, wie auch eure Ober&#x017F;ten</hi>. Apo&#x017F;t. Ge-<lb/>
&#x017F;chichte 3, 17. Sollten wir es denn eine unglu&#x0364;ckli-<lb/>
che Nachkommen&#x017F;chaft noch nach mehr als 1700 Jah-<lb/>
ren entgelten la&#x017F;&#x017F;en, die vielleicht nicht einmal von<lb/>
jenen Juden ab&#x017F;tammen, die Chri&#x017F;tum ermordeten?<lb/><hi rendition="#fr">Ein Sohn &#x017F;oll nicht tragen die Mi&#x017F;&#x017F;ethat des<lb/>
Vaters</hi>, und wir &#x017F;olltens unglu&#x0364;ckliche Enkel thun<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, die &#x017F;chon durch 50 und mehr Generationen<lb/>
von jenen entfernt &#x017F;ind? Oder &#x017F;ollen wir &#x017F;ie etwa<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">des-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0104] wir ihn ſo nennen; aber was wird damit ausge- macht? Nichts, denn widerlegen und uͤberzeugen iſt zweyerley. Dieſe Wahrheiten ſind, denk ich, von der Art, daß ſie ſich jeder ſagen koͤnnte; ich will und kann ſie alſo nicht fuͤr neu ausgeben. Aber warum haſſen, verfolgen und unterdruͤcken wir denn die Juden? Weil ſie uns vervortheilen? Daran ſind wir ſelbſt Schuld, wir zwingen ſie zum Wucher, um die Ab- gaben beſtreiten zu koͤnnen, die uns ſonſt, bey blei- benden Staatsbeduͤrfniſſen, ſelbſt mit treffen wuͤr- den. Oder weil ſie Chriſtum gekreuzigt haben? Bat doch Chriſtus ſelbſt fuͤr ſie, weil ſie nicht wuſten, was ſie thaten, und Petrus rechnete es den Moͤr- dern ſelbſt nicht einmal an. Nun lieben Bruͤder, ich weiß es; daß ihr’s durch Unwiſſenheit ge- than habt, wie auch eure Oberſten. Apoſt. Ge- ſchichte 3, 17. Sollten wir es denn eine ungluͤckli- che Nachkommenſchaft noch nach mehr als 1700 Jah- ren entgelten laſſen, die vielleicht nicht einmal von jenen Juden abſtammen, die Chriſtum ermordeten? Ein Sohn ſoll nicht tragen die Miſſethat des Vaters, und wir ſolltens ungluͤckliche Enkel thun laſſen, die ſchon durch 50 und mehr Generationen von jenen entfernt ſind? Oder ſollen wir ſie etwa des-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/104
Zitationshilfe: Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/104>, abgerufen am 22.11.2024.