Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sie, und das könnte ihr auch Herr Ohm nicht abdisputiren -- kurz, die Alte wurde ihrer Umgebung ein Räthsel, das sich durch ihre häufigen Fragen nach Rolf Evert noch vergrößerte. Der Matrose war an dem Tage, wo er auf dem Twistbrink abgewiesen war, zu seinem Schiffspatron nach Amsterdam gereis't. Ein anderes Ereigniß trauriger Art drängte indeß die gerechte Neugier in den Hintergrund. Eines Morgens fand man Stine besinnungslos auf dem Estrich, trotz aller angewandten Mittel starb sie wenige Stunden darauf, ohne zum Bewußtsein zurückzukommen. Sanne stand einen ganzen Tag auf, um beim Leichenschmause zu präsidiren; übrigens fand sie, man müsse Gottes Schickungen mit Fassung hinnehmen, und sie selbst ging in dieser Fassung mit gutem Beispiele voran. Von da aber richtete sich ihr ganzes Interesse auf -- die Schneider, welche die Trauerkleider für das ganze Haus nähten. Der Meister mußte vor dem Bette der Matrone sitzen, und sie flüsterte mit ihm wie jüngst mit dem Seelsorger, nur daß sie mit dem Schneider nicht in Meinungsverschiedenheit gerieth. Natürlich fiel dies den Hausbewohnern sehr auf; denn die Schneider, welche ihr Handwerk in die Häuser und verschiedene Familienverhältnisse einführt, werden nicht selten als intime Unterhändler in wichtigen, namentlich in Heirathsangelegenheiten, gebraucht. Als einmal Anntrin vor die Butze gerufen wurde, um ein Kneep (Mieder) anzupassen, sagte Sanne mit unheimlichem

sie, und das könnte ihr auch Herr Ohm nicht abdisputiren — kurz, die Alte wurde ihrer Umgebung ein Räthsel, das sich durch ihre häufigen Fragen nach Rolf Evert noch vergrößerte. Der Matrose war an dem Tage, wo er auf dem Twistbrink abgewiesen war, zu seinem Schiffspatron nach Amsterdam gereis't. Ein anderes Ereigniß trauriger Art drängte indeß die gerechte Neugier in den Hintergrund. Eines Morgens fand man Stine besinnungslos auf dem Estrich, trotz aller angewandten Mittel starb sie wenige Stunden darauf, ohne zum Bewußtsein zurückzukommen. Sanne stand einen ganzen Tag auf, um beim Leichenschmause zu präsidiren; übrigens fand sie, man müsse Gottes Schickungen mit Fassung hinnehmen, und sie selbst ging in dieser Fassung mit gutem Beispiele voran. Von da aber richtete sich ihr ganzes Interesse auf — die Schneider, welche die Trauerkleider für das ganze Haus nähten. Der Meister mußte vor dem Bette der Matrone sitzen, und sie flüsterte mit ihm wie jüngst mit dem Seelsorger, nur daß sie mit dem Schneider nicht in Meinungsverschiedenheit gerieth. Natürlich fiel dies den Hausbewohnern sehr auf; denn die Schneider, welche ihr Handwerk in die Häuser und verschiedene Familienverhältnisse einführt, werden nicht selten als intime Unterhändler in wichtigen, namentlich in Heirathsangelegenheiten, gebraucht. Als einmal Anntrin vor die Butze gerufen wurde, um ein Kneep (Mieder) anzupassen, sagte Sanne mit unheimlichem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="5">
        <p><pb facs="#f0033"/>
sie, und das könnte      ihr auch Herr Ohm nicht abdisputiren &#x2014; kurz, die Alte wurde ihrer Umgebung ein Räthsel, das      sich durch ihre häufigen Fragen nach Rolf Evert noch vergrößerte. Der Matrose war an dem Tage,      wo er auf dem Twistbrink abgewiesen war, zu seinem Schiffspatron nach Amsterdam gereis't. Ein      anderes Ereigniß trauriger Art drängte indeß die gerechte Neugier in den Hintergrund. Eines      Morgens fand man Stine besinnungslos auf dem Estrich, trotz aller angewandten Mittel starb sie      wenige Stunden darauf, ohne zum Bewußtsein zurückzukommen. Sanne stand einen ganzen Tag auf, um      beim Leichenschmause zu präsidiren; übrigens fand sie, man müsse Gottes Schickungen mit Fassung      hinnehmen, und sie selbst ging in dieser Fassung mit gutem Beispiele voran. Von da aber      richtete sich ihr ganzes Interesse auf &#x2014; die Schneider, welche die Trauerkleider für das ganze      Haus nähten. Der Meister mußte vor dem Bette der Matrone sitzen, und sie flüsterte mit ihm wie      jüngst mit dem Seelsorger, nur daß sie mit dem Schneider nicht in Meinungsverschiedenheit      gerieth. Natürlich fiel dies den Hausbewohnern sehr auf; denn die Schneider, welche ihr      Handwerk in die Häuser und verschiedene Familienverhältnisse einführt, werden nicht selten als      intime Unterhändler in wichtigen, namentlich in Heirathsangelegenheiten, gebraucht. Als einmal      Anntrin vor die Butze gerufen wurde, um ein Kneep (Mieder) anzupassen, sagte Sanne mit      unheimlichem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] sie, und das könnte ihr auch Herr Ohm nicht abdisputiren — kurz, die Alte wurde ihrer Umgebung ein Räthsel, das sich durch ihre häufigen Fragen nach Rolf Evert noch vergrößerte. Der Matrose war an dem Tage, wo er auf dem Twistbrink abgewiesen war, zu seinem Schiffspatron nach Amsterdam gereis't. Ein anderes Ereigniß trauriger Art drängte indeß die gerechte Neugier in den Hintergrund. Eines Morgens fand man Stine besinnungslos auf dem Estrich, trotz aller angewandten Mittel starb sie wenige Stunden darauf, ohne zum Bewußtsein zurückzukommen. Sanne stand einen ganzen Tag auf, um beim Leichenschmause zu präsidiren; übrigens fand sie, man müsse Gottes Schickungen mit Fassung hinnehmen, und sie selbst ging in dieser Fassung mit gutem Beispiele voran. Von da aber richtete sich ihr ganzes Interesse auf — die Schneider, welche die Trauerkleider für das ganze Haus nähten. Der Meister mußte vor dem Bette der Matrone sitzen, und sie flüsterte mit ihm wie jüngst mit dem Seelsorger, nur daß sie mit dem Schneider nicht in Meinungsverschiedenheit gerieth. Natürlich fiel dies den Hausbewohnern sehr auf; denn die Schneider, welche ihr Handwerk in die Häuser und verschiedene Familienverhältnisse einführt, werden nicht selten als intime Unterhändler in wichtigen, namentlich in Heirathsangelegenheiten, gebraucht. Als einmal Anntrin vor die Butze gerufen wurde, um ein Kneep (Mieder) anzupassen, sagte Sanne mit unheimlichem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:59:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:59:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910/33
Zitationshilfe: Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910/33>, abgerufen am 24.11.2024.