Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gewaschen und gestärkt, wie zur Kirchmeß. Die große, die kleine und die Mittelmagd hatten Erlaubniß erhalten, über Land zu gehen, und die Knechte lungerten im Dorfe oder schliefen im Heu. Am Fenster saß Anntrin, das Gebetbuch auf den Knieen und den Kopf über dasselbe gebeugt; sie trug über den im Nacken kurz geschnittenen Haaren die kleine seidene Kappe mit vielen feuerroth und grün gemusterten Atlasbandschleifen, Leffert rauchte in seiner geduldigen Art des Abwartens, und Mutter Stine ging ab und zu, Dieses und Jenes besorgend. Jetzt ließen sich auf der Diele Männerschritte vernehmen, und gleich darauf zeigte sich Rolf's ansehnliche Figur im Rahmen der Thür. Einige Sekunden betrachteten die Anwesenden einander, es würde den Anstand ungemein verletzt haben, hier etwas Anderes als die eisenfeste Ruhe höchsten Selbstbewußtseins zu zeigen. Rolf trat einen Schritt vor, faßte leicht an den Lackhut, ohne ihn indeß abzusetzen -- auch Leffert saß in Hemdsärmeln und mit seinem gewaltigen Sonntagsfilz auf dem Kopfe da -- und rief mit seiner frischen, klangvollen Stimme: Guten Tag miteinander! Nimm dir einen Stuhl, Rolf Evert! sprach feierlich die Hausfrau; der Matrose setzte sich, und es wurde von der Ernte, von Rolf's krankem Bruder, von Allem, was das Volk eben interessirte, geredet[,] Anntrin blieb aber ruhig in ihrer Ecke, und den Liebenden wurde kaum ein Blick, noch weniger ein Wort des Austausches gestattet, Anntrin's blaue Augen hafteten unausgesetzt gewaschen und gestärkt, wie zur Kirchmeß. Die große, die kleine und die Mittelmagd hatten Erlaubniß erhalten, über Land zu gehen, und die Knechte lungerten im Dorfe oder schliefen im Heu. Am Fenster saß Anntrin, das Gebetbuch auf den Knieen und den Kopf über dasselbe gebeugt; sie trug über den im Nacken kurz geschnittenen Haaren die kleine seidene Kappe mit vielen feuerroth und grün gemusterten Atlasbandschleifen, Leffert rauchte in seiner geduldigen Art des Abwartens, und Mutter Stine ging ab und zu, Dieses und Jenes besorgend. Jetzt ließen sich auf der Diele Männerschritte vernehmen, und gleich darauf zeigte sich Rolf's ansehnliche Figur im Rahmen der Thür. Einige Sekunden betrachteten die Anwesenden einander, es würde den Anstand ungemein verletzt haben, hier etwas Anderes als die eisenfeste Ruhe höchsten Selbstbewußtseins zu zeigen. Rolf trat einen Schritt vor, faßte leicht an den Lackhut, ohne ihn indeß abzusetzen — auch Leffert saß in Hemdsärmeln und mit seinem gewaltigen Sonntagsfilz auf dem Kopfe da — und rief mit seiner frischen, klangvollen Stimme: Guten Tag miteinander! Nimm dir einen Stuhl, Rolf Evert! sprach feierlich die Hausfrau; der Matrose setzte sich, und es wurde von der Ernte, von Rolf's krankem Bruder, von Allem, was das Volk eben interessirte, geredet[,] Anntrin blieb aber ruhig in ihrer Ecke, und den Liebenden wurde kaum ein Blick, noch weniger ein Wort des Austausches gestattet, Anntrin's blaue Augen hafteten unausgesetzt <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0027"/> gewaschen und gestärkt, wie zur Kirchmeß. Die große, die kleine und die Mittelmagd hatten Erlaubniß erhalten, über Land zu gehen, und die Knechte lungerten im Dorfe oder schliefen im Heu. Am Fenster saß Anntrin, das Gebetbuch auf den Knieen und den Kopf über dasselbe gebeugt; sie trug über den im Nacken kurz geschnittenen Haaren die kleine seidene Kappe mit vielen feuerroth und grün gemusterten Atlasbandschleifen, Leffert rauchte in seiner geduldigen Art des Abwartens, und Mutter Stine ging ab und zu, Dieses und Jenes besorgend. Jetzt ließen sich auf der Diele Männerschritte vernehmen, und gleich darauf zeigte sich Rolf's ansehnliche Figur im Rahmen der Thür. Einige Sekunden betrachteten die Anwesenden einander, es würde den Anstand ungemein verletzt haben, hier etwas Anderes als die eisenfeste Ruhe höchsten Selbstbewußtseins zu zeigen. Rolf trat einen Schritt vor, faßte leicht an den Lackhut, ohne ihn indeß abzusetzen — auch Leffert saß in Hemdsärmeln und mit seinem gewaltigen Sonntagsfilz auf dem Kopfe da — und rief mit seiner frischen, klangvollen Stimme: Guten Tag miteinander!</p><lb/> <p>Nimm dir einen Stuhl, Rolf Evert! sprach feierlich die Hausfrau; der Matrose setzte sich, und es wurde von der Ernte, von Rolf's krankem Bruder, von Allem, was das Volk eben interessirte, geredet<supplied>,</supplied> Anntrin blieb aber ruhig in ihrer Ecke, und den Liebenden wurde kaum ein Blick, noch weniger ein Wort des Austausches gestattet, Anntrin's blaue Augen hafteten unausgesetzt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
gewaschen und gestärkt, wie zur Kirchmeß. Die große, die kleine und die Mittelmagd hatten Erlaubniß erhalten, über Land zu gehen, und die Knechte lungerten im Dorfe oder schliefen im Heu. Am Fenster saß Anntrin, das Gebetbuch auf den Knieen und den Kopf über dasselbe gebeugt; sie trug über den im Nacken kurz geschnittenen Haaren die kleine seidene Kappe mit vielen feuerroth und grün gemusterten Atlasbandschleifen, Leffert rauchte in seiner geduldigen Art des Abwartens, und Mutter Stine ging ab und zu, Dieses und Jenes besorgend. Jetzt ließen sich auf der Diele Männerschritte vernehmen, und gleich darauf zeigte sich Rolf's ansehnliche Figur im Rahmen der Thür. Einige Sekunden betrachteten die Anwesenden einander, es würde den Anstand ungemein verletzt haben, hier etwas Anderes als die eisenfeste Ruhe höchsten Selbstbewußtseins zu zeigen. Rolf trat einen Schritt vor, faßte leicht an den Lackhut, ohne ihn indeß abzusetzen — auch Leffert saß in Hemdsärmeln und mit seinem gewaltigen Sonntagsfilz auf dem Kopfe da — und rief mit seiner frischen, klangvollen Stimme: Guten Tag miteinander!
Nimm dir einen Stuhl, Rolf Evert! sprach feierlich die Hausfrau; der Matrose setzte sich, und es wurde von der Ernte, von Rolf's krankem Bruder, von Allem, was das Volk eben interessirte, geredet, Anntrin blieb aber ruhig in ihrer Ecke, und den Liebenden wurde kaum ein Blick, noch weniger ein Wort des Austausches gestattet, Anntrin's blaue Augen hafteten unausgesetzt
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Zitationshilfe: | Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910/27>, abgerufen am 22.07.2024. |