Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Twistbrink zu bereden, als dieser noch so ungemein jung und unerfahren war und die Aussicht, das väterliche Eigenthum mit den fünf jüngeren Geschwistern, einer Stiefmutter u. u. zu theilen, auch nichts Lachendes hatte. Es schmeichelte dem jungen Menschen, von Allen beneidet da zu stehen -- bis er, gar bald nach seiner Heirath, inne wurde, daß er viel mehr ein Gegenstand des Mitleides als des Neides sei! Wer weiß, ob er nicht, trotz seiner duldsamen Natur, das Joch gewaltsam abgeschüttelt hätte, in welchem er mit seiner gleichmüthigen Stine ging, unter Sanne's oberherrlicher Aussicht, wenn ihm nicht ein Kind geboren worden wäre. Auf einmal hatte sein Leben einen Zweck, seine knechtische Stellung eine Versöhnung, seine Ehe eine Weihe -- er besaß ja ein Kind! -- Das Verhältniß zwischen dem Vater und der heranwachsenden Tochter ward um so inniger, als man dasselbe vor den Augen der Alten verbergen mußte; sie fand jede herzliche Liebe zu irdisch, selbst die zwischen Eltern und Kindern, wenn dieselbe einen beglückenden Charakter annahm, und sie sorgte alsbald für die Läuterung dieser in selbstischen, ungöttlichen Banden Befangenen, indem sie eine moralische oder örtliche Trennung herbeiführte. Es war eine tiefe, erbitterte Eifersucht auf alle Liebe. Deshalb war nun Leffert der heimliche Vertraute seiner Tochter. Am Tage nach Mariä Himmelfahrt gingen sie mit einander zum Moore, Anntrin erzählte ihre gestrigen Erlebnisse und sagte dann mit einem Twistbrink zu bereden, als dieser noch so ungemein jung und unerfahren war und die Aussicht, das väterliche Eigenthum mit den fünf jüngeren Geschwistern, einer Stiefmutter u. u. zu theilen, auch nichts Lachendes hatte. Es schmeichelte dem jungen Menschen, von Allen beneidet da zu stehen — bis er, gar bald nach seiner Heirath, inne wurde, daß er viel mehr ein Gegenstand des Mitleides als des Neides sei! Wer weiß, ob er nicht, trotz seiner duldsamen Natur, das Joch gewaltsam abgeschüttelt hätte, in welchem er mit seiner gleichmüthigen Stine ging, unter Sanne's oberherrlicher Aussicht, wenn ihm nicht ein Kind geboren worden wäre. Auf einmal hatte sein Leben einen Zweck, seine knechtische Stellung eine Versöhnung, seine Ehe eine Weihe — er besaß ja ein Kind! — Das Verhältniß zwischen dem Vater und der heranwachsenden Tochter ward um so inniger, als man dasselbe vor den Augen der Alten verbergen mußte; sie fand jede herzliche Liebe zu irdisch, selbst die zwischen Eltern und Kindern, wenn dieselbe einen beglückenden Charakter annahm, und sie sorgte alsbald für die Läuterung dieser in selbstischen, ungöttlichen Banden Befangenen, indem sie eine moralische oder örtliche Trennung herbeiführte. Es war eine tiefe, erbitterte Eifersucht auf alle Liebe. Deshalb war nun Leffert der heimliche Vertraute seiner Tochter. Am Tage nach Mariä Himmelfahrt gingen sie mit einander zum Moore, Anntrin erzählte ihre gestrigen Erlebnisse und sagte dann mit einem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0024"/> Twistbrink zu bereden, als dieser noch so ungemein jung und unerfahren war und die Aussicht, das väterliche Eigenthum mit den fünf jüngeren Geschwistern, einer Stiefmutter u. u. zu theilen, auch nichts Lachendes hatte. Es schmeichelte dem jungen Menschen, von Allen beneidet da zu stehen — bis er, gar bald nach seiner Heirath, inne wurde, daß er viel mehr ein Gegenstand des Mitleides als des Neides sei! Wer weiß, ob er nicht, trotz seiner duldsamen Natur, das Joch gewaltsam abgeschüttelt hätte, in welchem er mit seiner gleichmüthigen Stine ging, unter Sanne's oberherrlicher Aussicht, wenn ihm nicht ein Kind geboren worden wäre. Auf einmal hatte sein Leben einen Zweck, seine knechtische Stellung eine Versöhnung, seine Ehe eine Weihe — er besaß ja ein Kind! — Das Verhältniß zwischen dem Vater und der heranwachsenden Tochter ward um so inniger, als man dasselbe vor den Augen der Alten verbergen mußte; sie fand jede herzliche Liebe zu irdisch, selbst die zwischen Eltern und Kindern, wenn dieselbe einen beglückenden Charakter annahm, und sie sorgte alsbald für die Läuterung dieser in selbstischen, ungöttlichen Banden Befangenen, indem sie eine moralische oder örtliche Trennung herbeiführte. Es war eine tiefe, erbitterte Eifersucht auf alle Liebe. </p><lb/> <p>Deshalb war nun Leffert der heimliche Vertraute seiner Tochter. Am Tage nach Mariä Himmelfahrt gingen sie mit einander zum Moore, Anntrin erzählte ihre gestrigen Erlebnisse und sagte dann mit einem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
Twistbrink zu bereden, als dieser noch so ungemein jung und unerfahren war und die Aussicht, das väterliche Eigenthum mit den fünf jüngeren Geschwistern, einer Stiefmutter u. u. zu theilen, auch nichts Lachendes hatte. Es schmeichelte dem jungen Menschen, von Allen beneidet da zu stehen — bis er, gar bald nach seiner Heirath, inne wurde, daß er viel mehr ein Gegenstand des Mitleides als des Neides sei! Wer weiß, ob er nicht, trotz seiner duldsamen Natur, das Joch gewaltsam abgeschüttelt hätte, in welchem er mit seiner gleichmüthigen Stine ging, unter Sanne's oberherrlicher Aussicht, wenn ihm nicht ein Kind geboren worden wäre. Auf einmal hatte sein Leben einen Zweck, seine knechtische Stellung eine Versöhnung, seine Ehe eine Weihe — er besaß ja ein Kind! — Das Verhältniß zwischen dem Vater und der heranwachsenden Tochter ward um so inniger, als man dasselbe vor den Augen der Alten verbergen mußte; sie fand jede herzliche Liebe zu irdisch, selbst die zwischen Eltern und Kindern, wenn dieselbe einen beglückenden Charakter annahm, und sie sorgte alsbald für die Läuterung dieser in selbstischen, ungöttlichen Banden Befangenen, indem sie eine moralische oder örtliche Trennung herbeiführte. Es war eine tiefe, erbitterte Eifersucht auf alle Liebe.
Deshalb war nun Leffert der heimliche Vertraute seiner Tochter. Am Tage nach Mariä Himmelfahrt gingen sie mit einander zum Moore, Anntrin erzählte ihre gestrigen Erlebnisse und sagte dann mit einem
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Zitationshilfe: | Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910/24>, abgerufen am 16.02.2025. |