Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_387.001 Diese Verwandtschaft entsteht aus der Abwesenheit pdi_387.007 Es giebt eine Structur des Seelenlebens, so deutlich erkennbar pdi_387.015 pdi_387.001 Diese Verwandtschaft entsteht aus der Abwesenheit pdi_387.007 Es giebt eine Structur des Seelenlebens, so deutlich erkennbar pdi_387.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0089" n="387"/><lb n="pdi_387.001"/> Grenzen der Wirklichkeit hinaus zeigen. Wir finden uns gezwungen, <lb n="pdi_387.002"/> in diesen so verschiedenen Fällen Ursachen für die <lb n="pdi_387.003"/> Abwesenheit der Bedingungen aufzusuchen, welche sonst Vorstellungen <lb n="pdi_387.004"/> reguliren und in klaren richtigen Verhältnissen zur <lb n="pdi_387.005"/> Wirklichkeit erhalten.</p> <lb n="pdi_387.006"/> <p> <hi rendition="#et"> Diese Verwandtschaft entsteht aus der Abwesenheit <lb n="pdi_387.007"/> der Bedingungen, die sonst Vorstellungen reguliren; <lb n="pdi_387.008"/> jedoch wird sie in dem Träumenden, dem Irren oder <lb n="pdi_387.009"/> Hypnotischen durch Ursachen ganz andrer Art hervorgebracht, <lb n="pdi_387.010"/> als in dem Künstler oder Dichter; dort ist <lb n="pdi_387.011"/> der erworbene Zusammenhang des Seelenlebens gemindert, <lb n="pdi_387.012"/> hier wird seine ganze Energie in der Richtung <lb n="pdi_387.013"/> freien Schaffens verwandt.</hi> </p> <lb n="pdi_387.014"/> <p> Es giebt eine <hi rendition="#g">Structur</hi> des Seelenlebens, so deutlich erkennbar <lb n="pdi_387.015"/> als die des thierischen Körpers. Leben besteht überall <lb n="pdi_387.016"/> in der Wechselwirkung eines beseelten Körpers mit einer Aussenwelt, <lb n="pdi_387.017"/> die das Milieu desselben bildet. Aus dem Spiel der <lb n="pdi_387.018"/> äusseren Reize entspringen beständig Empfindungen, Wahrnehmungen <lb n="pdi_387.019"/> und Denken. Hierdurch werden auf der Grundlage <lb n="pdi_387.020"/> des Allgemeingefühls Aenderungen in der Gefühlslage angeregt. <lb n="pdi_387.021"/> Die Gefühle rufen dann Triebhandlungen, Spannungen des Begehrens <lb n="pdi_387.022"/> und des Willens hervor. Die einen derselben erwirken <lb n="pdi_387.023"/> äussere Willenshandlungen, und unter diesen sind die in den <lb n="pdi_387.024"/> Zuständen des Körpers dauernd angelegten die mächtigsten: <lb n="pdi_387.025"/> die grossen Antriebe der Selbsterhaltung, des Nahrungsbedürfnisses, <lb n="pdi_387.026"/> der Fortpflanzung und Kinderliebe; nicht viel weniger <lb n="pdi_387.027"/> mächtig sind dann, im Willen angelegt, das Ehrbedürfniss, die <lb n="pdi_387.028"/> geselligen Triebe. Die andern erwirken innere Veränderungen <lb n="pdi_387.029"/> im Bewusstsein. In dieser Structur ist die Steigerung des Lebens <lb n="pdi_387.030"/> in der Thierreihe begründet. Die einfachste, nackte Form des <lb n="pdi_387.031"/> Lebens gewahren wir, wo im Thier die Reizung, in der Gefühl <lb n="pdi_387.032"/> und Empfindung ungetrennt sind, eine Bewegung hervorbringt. <lb n="pdi_387.033"/> Im Kinde sehen wir den Uebergang von Reizen durch Empfindungen, <lb n="pdi_387.034"/> und, von ihnen getrennt, doch an sie angeschlossen, <lb n="pdi_387.035"/> durch Gefühle, zu Begehrungen, von da zu Bewegungen, noch <lb n="pdi_387.036"/> ohne ein Einschalten im Gedächtniss gesammelter Vorstellungen. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [387/0089]
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Grenzen der Wirklichkeit hinaus zeigen. Wir finden uns gezwungen, pdi_387.002
in diesen so verschiedenen Fällen Ursachen für die pdi_387.003
Abwesenheit der Bedingungen aufzusuchen, welche sonst Vorstellungen pdi_387.004
reguliren und in klaren richtigen Verhältnissen zur pdi_387.005
Wirklichkeit erhalten.
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Diese Verwandtschaft entsteht aus der Abwesenheit pdi_387.007
der Bedingungen, die sonst Vorstellungen reguliren; pdi_387.008
jedoch wird sie in dem Träumenden, dem Irren oder pdi_387.009
Hypnotischen durch Ursachen ganz andrer Art hervorgebracht, pdi_387.010
als in dem Künstler oder Dichter; dort ist pdi_387.011
der erworbene Zusammenhang des Seelenlebens gemindert, pdi_387.012
hier wird seine ganze Energie in der Richtung pdi_387.013
freien Schaffens verwandt.
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Es giebt eine Structur des Seelenlebens, so deutlich erkennbar pdi_387.015
als die des thierischen Körpers. Leben besteht überall pdi_387.016
in der Wechselwirkung eines beseelten Körpers mit einer Aussenwelt, pdi_387.017
die das Milieu desselben bildet. Aus dem Spiel der pdi_387.018
äusseren Reize entspringen beständig Empfindungen, Wahrnehmungen pdi_387.019
und Denken. Hierdurch werden auf der Grundlage pdi_387.020
des Allgemeingefühls Aenderungen in der Gefühlslage angeregt. pdi_387.021
Die Gefühle rufen dann Triebhandlungen, Spannungen des Begehrens pdi_387.022
und des Willens hervor. Die einen derselben erwirken pdi_387.023
äussere Willenshandlungen, und unter diesen sind die in den pdi_387.024
Zuständen des Körpers dauernd angelegten die mächtigsten: pdi_387.025
die grossen Antriebe der Selbsterhaltung, des Nahrungsbedürfnisses, pdi_387.026
der Fortpflanzung und Kinderliebe; nicht viel weniger pdi_387.027
mächtig sind dann, im Willen angelegt, das Ehrbedürfniss, die pdi_387.028
geselligen Triebe. Die andern erwirken innere Veränderungen pdi_387.029
im Bewusstsein. In dieser Structur ist die Steigerung des Lebens pdi_387.030
in der Thierreihe begründet. Die einfachste, nackte Form des pdi_387.031
Lebens gewahren wir, wo im Thier die Reizung, in der Gefühl pdi_387.032
und Empfindung ungetrennt sind, eine Bewegung hervorbringt. pdi_387.033
Im Kinde sehen wir den Uebergang von Reizen durch Empfindungen, pdi_387.034
und, von ihnen getrennt, doch an sie angeschlossen, pdi_387.035
durch Gefühle, zu Begehrungen, von da zu Bewegungen, noch pdi_387.036
ohne ein Einschalten im Gedächtniss gesammelter Vorstellungen.
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