Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_367.001 Wir bezeichnen das Prinzip, nach welchem die Empfindungselemente pdi_367.035 pdi_367.001 Wir bezeichnen das Prinzip, nach welchem die Empfindungselemente pdi_367.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0069" n="367"/><lb n="pdi_367.001"/> einzelnen Worte, eine sinnliche Freude von grosser Mannigfaltigkeit <lb n="pdi_367.002"/> und Stärke hervor. In der Untersuchung dieser elementaren <lb n="pdi_367.003"/> Gefühle hat die Poetik eine ihrer wichtigsten Grundlagen. <lb n="pdi_367.004"/> Sie muss insbesondere das rhythmische Gefühl in seinem <lb n="pdi_367.005"/> Ursprung, vermöge dessen es im Lebensgefühl selber wurzelt, <lb n="pdi_367.006"/> aufsuchen. Denn wie unser Körper aussen überall Symmetrie <lb n="pdi_367.007"/> zeigt, so geht durch seine inneren Functionen der Rhythmus. <lb n="pdi_367.008"/> Der Herzschlag wie die Athmung verlaufen in Rhythmen, das <lb n="pdi_367.009"/> Gehen in einer regelmässigen Pendelbewegung. In langsamerem, <lb n="pdi_367.010"/> doch auch regelmässigem Wechsel folgen einander Wachen und <lb n="pdi_367.011"/> Schlaf, Hunger und Mahlzeit. Die Arbeit wird durch den Rhythmus <lb n="pdi_367.012"/> der Bewegungen erleichtert. Gleichmässig fallende Tropfen, <lb n="pdi_367.013"/> rhythmisch rückkehrende Wellen, der einförmige Tact, den die <lb n="pdi_367.014"/> Wärterin dem Kinde hören lässt, wirken beschwichtigend auf <lb n="pdi_367.015"/> die Gefühle und erregen so den Schlaf. Die Erklärung dieser <lb n="pdi_367.016"/> umfassenden psychischen Bedeutung der Rhythmik ist ein noch <lb n="pdi_367.017"/> ungelöstes Problem. Denn dass wir vermittelst des Rhythmus <lb n="pdi_367.018"/> leichter das Ganze des Empfindungswechsels einheitlich auffassen, <lb n="pdi_367.019"/> erklärt augenscheinlich nicht die elementare Gewalt des Rhythmus. <lb n="pdi_367.020"/> Erwägt man das Verhältniss einer einfach auftretenden <lb n="pdi_367.021"/> Empfindung zu dem Rhythmischen der Bewegungen, wie sie <lb n="pdi_367.022"/> für Gesicht und Gehör den Reiz bilden, und betrachtet nun die <lb n="pdi_367.023"/> Freude am Rhythmus als die Wiederkehr eines ähnlichen Verhältnisses <lb n="pdi_367.024"/> in höherer Ordnung, da die Theile dieses rhythmischen <lb n="pdi_367.025"/> Verlaufs Empfindungen sind, so bleibt das doch vorläufig eine <lb n="pdi_367.026"/> unbeweisbare Hypothese. Gerade die Poetik hat hier die Aufgabe, <lb n="pdi_367.027"/> zunächst empirisch die Thatsachen ihres weiten Gebietes, <lb n="pdi_367.028"/> vom Lied, der Melodie und dem Tanz der Naturvölker bis <lb n="pdi_367.029"/> zu der Gliederung des griechischen Chorliedes vergleichend zu <lb n="pdi_367.030"/> bearbeiten. Dann erst wird die Rhythmik und Metrik, wie sie <lb n="pdi_367.031"/> von den hochgebildeten Literaturen abstrahirt ist, in den weiteren <lb n="pdi_367.032"/> Zusammenhang treten, welcher die Mittel zur Entscheidung über <lb n="pdi_367.033"/> die streitigen psychologischen Hypothesen liefert.</p> <lb n="pdi_367.034"/> <p> Wir bezeichnen das Prinzip, nach welchem die Empfindungselemente <lb n="pdi_367.035"/> des Kunstwerks in Verhältnissen, die das Gefühl wohlthätig </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [367/0069]
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einzelnen Worte, eine sinnliche Freude von grosser Mannigfaltigkeit pdi_367.002
und Stärke hervor. In der Untersuchung dieser elementaren pdi_367.003
Gefühle hat die Poetik eine ihrer wichtigsten Grundlagen. pdi_367.004
Sie muss insbesondere das rhythmische Gefühl in seinem pdi_367.005
Ursprung, vermöge dessen es im Lebensgefühl selber wurzelt, pdi_367.006
aufsuchen. Denn wie unser Körper aussen überall Symmetrie pdi_367.007
zeigt, so geht durch seine inneren Functionen der Rhythmus. pdi_367.008
Der Herzschlag wie die Athmung verlaufen in Rhythmen, das pdi_367.009
Gehen in einer regelmässigen Pendelbewegung. In langsamerem, pdi_367.010
doch auch regelmässigem Wechsel folgen einander Wachen und pdi_367.011
Schlaf, Hunger und Mahlzeit. Die Arbeit wird durch den Rhythmus pdi_367.012
der Bewegungen erleichtert. Gleichmässig fallende Tropfen, pdi_367.013
rhythmisch rückkehrende Wellen, der einförmige Tact, den die pdi_367.014
Wärterin dem Kinde hören lässt, wirken beschwichtigend auf pdi_367.015
die Gefühle und erregen so den Schlaf. Die Erklärung dieser pdi_367.016
umfassenden psychischen Bedeutung der Rhythmik ist ein noch pdi_367.017
ungelöstes Problem. Denn dass wir vermittelst des Rhythmus pdi_367.018
leichter das Ganze des Empfindungswechsels einheitlich auffassen, pdi_367.019
erklärt augenscheinlich nicht die elementare Gewalt des Rhythmus. pdi_367.020
Erwägt man das Verhältniss einer einfach auftretenden pdi_367.021
Empfindung zu dem Rhythmischen der Bewegungen, wie sie pdi_367.022
für Gesicht und Gehör den Reiz bilden, und betrachtet nun die pdi_367.023
Freude am Rhythmus als die Wiederkehr eines ähnlichen Verhältnisses pdi_367.024
in höherer Ordnung, da die Theile dieses rhythmischen pdi_367.025
Verlaufs Empfindungen sind, so bleibt das doch vorläufig eine pdi_367.026
unbeweisbare Hypothese. Gerade die Poetik hat hier die Aufgabe, pdi_367.027
zunächst empirisch die Thatsachen ihres weiten Gebietes, pdi_367.028
vom Lied, der Melodie und dem Tanz der Naturvölker bis pdi_367.029
zu der Gliederung des griechischen Chorliedes vergleichend zu pdi_367.030
bearbeiten. Dann erst wird die Rhythmik und Metrik, wie sie pdi_367.031
von den hochgebildeten Literaturen abstrahirt ist, in den weiteren pdi_367.032
Zusammenhang treten, welcher die Mittel zur Entscheidung über pdi_367.033
die streitigen psychologischen Hypothesen liefert.
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des Kunstwerks in Verhältnissen, die das Gefühl wohlthätig
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