Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_354.001 Zweites Gesetz. Wahrnehmungen und Vorstellungen oder pdi_354.007 pdi_354.001 Zweites Gesetz. Wahrnehmungen und Vorstellungen oder pdi_354.007 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0056" n="354"/><lb n="pdi_354.001"/> von dem Gleichen zum Ungleichen nach den <lb n="pdi_354.002"/> Bedingungen von Interesse und Aufmerksamkeit geleitet wird, <lb n="pdi_354.003"/> entstehen von einer gegenwärtigen Wahrnehmung oder Vorstellung <lb n="pdi_354.004"/> aus Reproductionen des Aehnlichen, Verwandten, Ungleichen, <lb n="pdi_354.005"/> ja Entgegengesetzten.</p> <lb n="pdi_354.006"/> <p> Zweites Gesetz. Wahrnehmungen und Vorstellungen oder <lb n="pdi_354.007"/> deren Bestandtheile, welche in der Einheit eines Bewusstseinsvorganges <lb n="pdi_354.008"/> vereinigt waren, können sich unter gegebenen Bedingungen <lb n="pdi_354.009"/> von Interesse und Aufmerksamkeit gegenseitig reproduciren. <lb n="pdi_354.010"/> Wir bezeichnen dieses Grundverhältniss als Association, <lb n="pdi_354.011"/> gebrauchen aber diesen Ausdruck in einem engeren <lb n="pdi_354.012"/> Sinne, da Hume und seine englischen Nachfolger auch die Verkettung, <lb n="pdi_354.013"/> welche durch Aehnlichkeit oder Contrast eine Reproduction <lb n="pdi_354.014"/> ermöglicht, einschliessen. Auch dieses Gesetz darf nicht mechanisch <lb n="pdi_354.015"/> oder atomistisch aufgefasst werden. Denn wir sehen, wie <lb n="pdi_354.016"/> auf Grund desselben Inhalte auf die verschiedenste Weise in <lb n="pdi_354.017"/> Wahrnehmung und Denken mit einander verkettet werden und <lb n="pdi_354.018"/> ein Zusammenhang des Seelenlebens sich bildet, zu welchem <lb n="pdi_354.019"/> das, was im Bewusstsein vorgeht, jederzeit gleichsam orientirt <lb n="pdi_354.020"/> ist. So vollziehen sich auch die Reproductionen nicht von Einer <lb n="pdi_354.021"/> angrenzenden Vorstellung oder Wahrnehmung aus, sondern sie <lb n="pdi_354.022"/> sind durch diesen ganzen seelischen Zusammenhang bedingt, <lb n="pdi_354.023"/> in dem zwar die Theile nicht klar und deutlich gesondert, die <lb n="pdi_354.024"/> Beziehungen nicht zu vollem Bewusstsein gebracht werden, <lb n="pdi_354.025"/> dennoch aber wirken. Hieraus entspringen Folgen für die Art <lb n="pdi_354.026"/> der Reproduction zusammengesetzter Bilder, welche auch für <lb n="pdi_354.027"/> das künstlerische Schaffen wichtig sind. Ferner sind die Faktoren <lb n="pdi_354.028"/> sehr complicirt, aus deren Zusammenwirken die Reproduktion <lb n="pdi_354.029"/> entspringt. Die Vorgänge, durch welche sie bedingt ist, <lb n="pdi_354.030"/> sind folgende: der constituirende Erfahrungsvorgang, in welchem <lb n="pdi_354.031"/> der Verband von Inhalten gestiftet wurde, dann die späteren <lb n="pdi_354.032"/> Akte, in denen er ganz oder theilweise wieder vorkam, aufgefasst <lb n="pdi_354.033"/> mit Berücksichtigung der Zwischenräume zwischen ihnen, <lb n="pdi_354.034"/> endlich der gegenwärtige Bewusstseinsstand, von dem aus die <lb n="pdi_354.035"/> Reproduktion stattfand, wieder miteingeschlossen den Zwischenraum, <lb n="pdi_354.036"/> der ihn vom letzten Vorgang der Reproduktion trennt. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [354/0056]
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von dem Gleichen zum Ungleichen nach den pdi_354.002
Bedingungen von Interesse und Aufmerksamkeit geleitet wird, pdi_354.003
entstehen von einer gegenwärtigen Wahrnehmung oder Vorstellung pdi_354.004
aus Reproductionen des Aehnlichen, Verwandten, Ungleichen, pdi_354.005
ja Entgegengesetzten.
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Zweites Gesetz. Wahrnehmungen und Vorstellungen oder pdi_354.007
deren Bestandtheile, welche in der Einheit eines Bewusstseinsvorganges pdi_354.008
vereinigt waren, können sich unter gegebenen Bedingungen pdi_354.009
von Interesse und Aufmerksamkeit gegenseitig reproduciren. pdi_354.010
Wir bezeichnen dieses Grundverhältniss als Association, pdi_354.011
gebrauchen aber diesen Ausdruck in einem engeren pdi_354.012
Sinne, da Hume und seine englischen Nachfolger auch die Verkettung, pdi_354.013
welche durch Aehnlichkeit oder Contrast eine Reproduction pdi_354.014
ermöglicht, einschliessen. Auch dieses Gesetz darf nicht mechanisch pdi_354.015
oder atomistisch aufgefasst werden. Denn wir sehen, wie pdi_354.016
auf Grund desselben Inhalte auf die verschiedenste Weise in pdi_354.017
Wahrnehmung und Denken mit einander verkettet werden und pdi_354.018
ein Zusammenhang des Seelenlebens sich bildet, zu welchem pdi_354.019
das, was im Bewusstsein vorgeht, jederzeit gleichsam orientirt pdi_354.020
ist. So vollziehen sich auch die Reproductionen nicht von Einer pdi_354.021
angrenzenden Vorstellung oder Wahrnehmung aus, sondern sie pdi_354.022
sind durch diesen ganzen seelischen Zusammenhang bedingt, pdi_354.023
in dem zwar die Theile nicht klar und deutlich gesondert, die pdi_354.024
Beziehungen nicht zu vollem Bewusstsein gebracht werden, pdi_354.025
dennoch aber wirken. Hieraus entspringen Folgen für die Art pdi_354.026
der Reproduction zusammengesetzter Bilder, welche auch für pdi_354.027
das künstlerische Schaffen wichtig sind. Ferner sind die Faktoren pdi_354.028
sehr complicirt, aus deren Zusammenwirken die Reproduktion pdi_354.029
entspringt. Die Vorgänge, durch welche sie bedingt ist, pdi_354.030
sind folgende: der constituirende Erfahrungsvorgang, in welchem pdi_354.031
der Verband von Inhalten gestiftet wurde, dann die späteren pdi_354.032
Akte, in denen er ganz oder theilweise wieder vorkam, aufgefasst pdi_354.033
mit Berücksichtigung der Zwischenräume zwischen ihnen, pdi_354.034
endlich der gegenwärtige Bewusstseinsstand, von dem aus die pdi_354.035
Reproduktion stattfand, wieder miteingeschlossen den Zwischenraum, pdi_354.036
der ihn vom letzten Vorgang der Reproduktion trennt.
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