Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_344.001 1) pdi_344.033 Vergl. Theophile Gautier, Honore de Balzac, sowie Balzac's poetische pdi_344.034 Darstellung davon in seinem Louis Lambert, sowie Boismont hallucinations pdi_344.035 461 ff. 2) pdi_344.036
Eckermann I 127 f. pdi_344.001 1) pdi_344.033 Vergl. Théophile Gautier, Honoré de Balzac, sowie Balzac's poetische pdi_344.034 Darstellung davon in seinem Louis Lambert, sowie Boismont hallucinations pdi_344.035 461 ff. 2) pdi_344.036
Eckermann I 127 f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0046" n="344"/><lb n="pdi_344.001"/> Treten andere Vorstellungen zwischen den Eindruck <lb n="pdi_344.002"/> und seine Reproduction, so nimmt die Vorstellung an Sinnfälligkeit, <lb n="pdi_344.003"/> Deutlichkeit und Vollständigkeit ab. Aber bei verschiedenen <lb n="pdi_344.004"/> Personen ist nun dieser Unterschied zwischen der <lb n="pdi_344.005"/> Sinneswahrnehmung und der Vorstellung sehr verschieden gross, <lb n="pdi_344.006"/> wie dies Fechner durch Befragung festgestellt hat. Von beinahe <lb n="pdi_344.007"/> farblosen und formunsicheren Erinnerungsbildern, in der That <lb n="pdi_344.008"/> blossen Schatten von Wirklichkeiten, führen Uebergänge hinauf <lb n="pdi_344.009"/> zu den bestimmt gezeichneten, intensiv gefärbten und in den <lb n="pdi_344.010"/> Sinnesraum projicirten Gestalten, deren die Künstler und zumeist <lb n="pdi_344.011"/> auch die Dichter fähig sind. Balzac sprach von den Personen <lb n="pdi_344.012"/> seiner <hi rendition="#i">Comédie humaine,</hi> als lebten sie, und er tadelte, <lb n="pdi_344.013"/> lobte, analysirte ihre Handlungen, als gehörten sie mit ihm zu <lb n="pdi_344.014"/> derselben guten Gesellschaft. Dies hatte seinen Grund in seiner <lb n="pdi_344.015"/> sinnlichen Organisation. Von Kindesbeinen an sah er Erinnerungsbilder <lb n="pdi_344.016"/> umrissen und farbig wie Wirklichkeit und war so <lb n="pdi_344.017"/> photographischer Treue in seinen Schilderungen fähig. Zugleich <lb n="pdi_344.018"/> fand er mit Erstaunen in sich das Vermögen, „wie der Derwisch <lb n="pdi_344.019"/> in Tausend und eine Nacht Körper und Seele der Personen <lb n="pdi_344.020"/> anzunehmen, die er darstellen wollte,“ ja er vergleicht dieses <lb n="pdi_344.021"/> ihn selber erschreckende Vermögen, „seine eigenen moralischen <lb n="pdi_344.022"/> Gewohnheiten zu verlassen und sich ganz in ein anderes Wesen <lb n="pdi_344.023"/> zu verwandeln, mit dem Traum eines wachen Menschen oder <lb n="pdi_344.024"/> mit dem zweiten Gesicht.“<note xml:id="PDI_344_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_344.033"/> Vergl. Théophile Gautier, <hi rendition="#i">Honoré de Balzac,</hi> sowie Balzac's poetische <lb n="pdi_344.034"/> Darstellung davon in seinem Louis Lambert, sowie <hi rendition="#i">Boismont hallucinations</hi> <lb n="pdi_344.035"/> 461 ff.</note> Hieran erinnert Goethes Aeusserung: <lb n="pdi_344.025"/> „wenn ich Jemanden eine Viertelstunde gesprochen habe, <lb n="pdi_344.026"/> so will ich ihn zwei Stunden reden lassen.“<note xml:id="PDI_344_2" place="foot" n="2)"><lb n="pdi_344.036"/> Eckermann I 127 f.</note> Turgenjeff erzählte <lb n="pdi_344.027"/> Freunden, er lebe so in der Rolle seiner Helden, dass er <lb n="pdi_344.028"/> eine Zeit hindurch denke, spreche, gehe wie sie; so habe er, als <lb n="pdi_344.029"/> er Väter und Söhne schrieb, lange wie Basarof gesprochen. Und <lb n="pdi_344.030"/> über solche angeborenen Befähigungen überhaupt sagte Goethe: <lb n="pdi_344.031"/> „das ist das Angeborene eines grossen Talents. Napoleon behandelte <lb n="pdi_344.032"/> die Welt wie Hummel seinen Flügel. Das ist die Facilität, die </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [344/0046]
pdi_344.001
Treten andere Vorstellungen zwischen den Eindruck pdi_344.002
und seine Reproduction, so nimmt die Vorstellung an Sinnfälligkeit, pdi_344.003
Deutlichkeit und Vollständigkeit ab. Aber bei verschiedenen pdi_344.004
Personen ist nun dieser Unterschied zwischen der pdi_344.005
Sinneswahrnehmung und der Vorstellung sehr verschieden gross, pdi_344.006
wie dies Fechner durch Befragung festgestellt hat. Von beinahe pdi_344.007
farblosen und formunsicheren Erinnerungsbildern, in der That pdi_344.008
blossen Schatten von Wirklichkeiten, führen Uebergänge hinauf pdi_344.009
zu den bestimmt gezeichneten, intensiv gefärbten und in den pdi_344.010
Sinnesraum projicirten Gestalten, deren die Künstler und zumeist pdi_344.011
auch die Dichter fähig sind. Balzac sprach von den Personen pdi_344.012
seiner Comédie humaine, als lebten sie, und er tadelte, pdi_344.013
lobte, analysirte ihre Handlungen, als gehörten sie mit ihm zu pdi_344.014
derselben guten Gesellschaft. Dies hatte seinen Grund in seiner pdi_344.015
sinnlichen Organisation. Von Kindesbeinen an sah er Erinnerungsbilder pdi_344.016
umrissen und farbig wie Wirklichkeit und war so pdi_344.017
photographischer Treue in seinen Schilderungen fähig. Zugleich pdi_344.018
fand er mit Erstaunen in sich das Vermögen, „wie der Derwisch pdi_344.019
in Tausend und eine Nacht Körper und Seele der Personen pdi_344.020
anzunehmen, die er darstellen wollte,“ ja er vergleicht dieses pdi_344.021
ihn selber erschreckende Vermögen, „seine eigenen moralischen pdi_344.022
Gewohnheiten zu verlassen und sich ganz in ein anderes Wesen pdi_344.023
zu verwandeln, mit dem Traum eines wachen Menschen oder pdi_344.024
mit dem zweiten Gesicht.“ 1) Hieran erinnert Goethes Aeusserung: pdi_344.025
„wenn ich Jemanden eine Viertelstunde gesprochen habe, pdi_344.026
so will ich ihn zwei Stunden reden lassen.“ 2) Turgenjeff erzählte pdi_344.027
Freunden, er lebe so in der Rolle seiner Helden, dass er pdi_344.028
eine Zeit hindurch denke, spreche, gehe wie sie; so habe er, als pdi_344.029
er Väter und Söhne schrieb, lange wie Basarof gesprochen. Und pdi_344.030
über solche angeborenen Befähigungen überhaupt sagte Goethe: pdi_344.031
„das ist das Angeborene eines grossen Talents. Napoleon behandelte pdi_344.032
die Welt wie Hummel seinen Flügel. Das ist die Facilität, die
1) pdi_344.033
Vergl. Théophile Gautier, Honoré de Balzac, sowie Balzac's poetische pdi_344.034
Darstellung davon in seinem Louis Lambert, sowie Boismont hallucinations pdi_344.035
461 ff.
2) pdi_344.036
Eckermann I 127 f.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |