Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_480.001 Langsam hat nun die Poesie ihr schweres Werk begonnen, pdi_480.022 In der epischen Dichtung haben die gefühlsarmen technischen pdi_480.001 Langsam hat nun die Poesie ihr schweres Werk begonnen, pdi_480.022 In der epischen Dichtung haben die gefühlsarmen technischen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0182" n="480"/><lb n="pdi_480.001"/> und mit der Liebe. Die französische Poesie der classischen Zeit <lb n="pdi_480.002"/> hatte daher einen geschichtlichen Werth, den die Literaturgeschichte <lb n="pdi_480.003"/> erkennen muss. Mit der französischen Revolution ist <lb n="pdi_480.004"/> ein neues Zeitalter angebrochen. Eine das Leben umgestaltende <lb n="pdi_480.005"/> Wissenschaft, Weltindustrie und Maschinen, Arbeit als ausschliessliche <lb n="pdi_480.006"/> Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung, Krieg <lb n="pdi_480.007"/> gegen die Parasiten der Gesellschaft, für deren müssigen Genuss <lb n="pdi_480.008"/> Andere die Kosten bezahlen, ein neues, stolzes Herrschaftsgefühl <lb n="pdi_480.009"/> des Menschen, der sich die Natur unterwarf und nun auch die <lb n="pdi_480.010"/> blinden Wirkungen der Leidenschaften in der Gesellschaft <lb n="pdi_480.011"/> mindern wird: das sind Grundzüge eines Weltalters, deren <lb n="pdi_480.012"/> dunkele, erschreckend grosse Umrisse vor uns aufzutauchen beginnen. <lb n="pdi_480.013"/> Doch hat sich zugleich im Gegensatze zu solcher rationalen <lb n="pdi_480.014"/> Regelung aller Angelegenheiten dieses schliesslich so irrationalen <lb n="pdi_480.015"/> und unvernünftigen Erdballs ein geschichtliches und <lb n="pdi_480.016"/> das Erarbeitete wahrendes Bewusstsein in der Gesellschaft entwickelt. <lb n="pdi_480.017"/> Die nationalen Einheiten fühlen sich gerade durch die <lb n="pdi_480.018"/> Wirkungen von Parlament und Presse als eigne Wesenheiten. <lb n="pdi_480.019"/> In den Kämpfen, die so entspringen, wurzelt das Heldenthum <lb n="pdi_480.020"/> unseres Jahrhunderts.</p> <lb n="pdi_480.021"/> <p> Langsam hat nun die Poesie ihr schweres Werk begonnen, <lb n="pdi_480.022"/> die Formen zu finden, in denen ein so ungeheurer Gehalt sich <lb n="pdi_480.023"/> ausdrücken kann. Das Drama Shakespeares ist von Schiller <lb n="pdi_480.024"/> und Goethe umgestaltet worden. Goethe erfand den Helden, <lb n="pdi_480.025"/> der sich nach seiner ganzen machtvollen Wirklichkeit siegreich <lb n="pdi_480.026"/> im Drama auslebt. Schiller erfasste mit dem Griff des Genies <lb n="pdi_480.027"/> die weltgeschichtlichen Gegensätze der absoluten Monarchie und <lb n="pdi_480.028"/> der Freiheit, der katholischen Kirche und des protestantischen <lb n="pdi_480.029"/> Geistes: so entstand ihm die Tragödie der gleichen geschichtlichen <lb n="pdi_480.030"/> Berechtigungen. Die deutsche Tragödie ging bis heute <lb n="pdi_480.031"/> in Shakespeares und Schillers Spuren. Wer kann ahnen, wie und <lb n="pdi_480.032"/> wann auf den von Goethe und Schiller gelegten Grundlagen <lb n="pdi_480.033"/> ein Genie das neue Drama findet, in welchem der heroische <lb n="pdi_480.034"/> Mensch unseres Zeitalters zu uns von der Bühne redet, uns <lb n="pdi_480.035"/> erschüttert und versöhnt?</p> <lb n="pdi_480.036"/> <p> In der epischen Dichtung haben die gefühlsarmen technischen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [480/0182]
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und mit der Liebe. Die französische Poesie der classischen Zeit pdi_480.002
hatte daher einen geschichtlichen Werth, den die Literaturgeschichte pdi_480.003
erkennen muss. Mit der französischen Revolution ist pdi_480.004
ein neues Zeitalter angebrochen. Eine das Leben umgestaltende pdi_480.005
Wissenschaft, Weltindustrie und Maschinen, Arbeit als ausschliessliche pdi_480.006
Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung, Krieg pdi_480.007
gegen die Parasiten der Gesellschaft, für deren müssigen Genuss pdi_480.008
Andere die Kosten bezahlen, ein neues, stolzes Herrschaftsgefühl pdi_480.009
des Menschen, der sich die Natur unterwarf und nun auch die pdi_480.010
blinden Wirkungen der Leidenschaften in der Gesellschaft pdi_480.011
mindern wird: das sind Grundzüge eines Weltalters, deren pdi_480.012
dunkele, erschreckend grosse Umrisse vor uns aufzutauchen beginnen. pdi_480.013
Doch hat sich zugleich im Gegensatze zu solcher rationalen pdi_480.014
Regelung aller Angelegenheiten dieses schliesslich so irrationalen pdi_480.015
und unvernünftigen Erdballs ein geschichtliches und pdi_480.016
das Erarbeitete wahrendes Bewusstsein in der Gesellschaft entwickelt. pdi_480.017
Die nationalen Einheiten fühlen sich gerade durch die pdi_480.018
Wirkungen von Parlament und Presse als eigne Wesenheiten. pdi_480.019
In den Kämpfen, die so entspringen, wurzelt das Heldenthum pdi_480.020
unseres Jahrhunderts.
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Langsam hat nun die Poesie ihr schweres Werk begonnen, pdi_480.022
die Formen zu finden, in denen ein so ungeheurer Gehalt sich pdi_480.023
ausdrücken kann. Das Drama Shakespeares ist von Schiller pdi_480.024
und Goethe umgestaltet worden. Goethe erfand den Helden, pdi_480.025
der sich nach seiner ganzen machtvollen Wirklichkeit siegreich pdi_480.026
im Drama auslebt. Schiller erfasste mit dem Griff des Genies pdi_480.027
die weltgeschichtlichen Gegensätze der absoluten Monarchie und pdi_480.028
der Freiheit, der katholischen Kirche und des protestantischen pdi_480.029
Geistes: so entstand ihm die Tragödie der gleichen geschichtlichen pdi_480.030
Berechtigungen. Die deutsche Tragödie ging bis heute pdi_480.031
in Shakespeares und Schillers Spuren. Wer kann ahnen, wie und pdi_480.032
wann auf den von Goethe und Schiller gelegten Grundlagen pdi_480.033
ein Genie das neue Drama findet, in welchem der heroische pdi_480.034
Mensch unseres Zeitalters zu uns von der Bühne redet, uns pdi_480.035
erschüttert und versöhnt?
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In der epischen Dichtung haben die gefühlsarmen technischen
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