pdi_316.001 Poetik ein Mannigfaches solcher Wirkungen für die Dichtung, pdi_316.002 dem Wechsel der von ihr nachgebildeten Gegenstände entsprechend, pdi_316.003 angenommen. Die Poetik erkannte also in empirischer pdi_316.004 Unbefangenheit das Mannigfache der poetischen Wirkung an. pdi_316.005 Aber der Grund dieser Wirkung lag ihr nur in dem Verhältniss pdi_316.006 zwischen dem Nachbilden, den Gegenständen desselben pdi_316.007 und den Mitteln. Allein aus diesem Verhältniss wurden von pdi_316.008 ihr die Formen und Regeln der Dichtung abgeleitet. In diesem pdi_316.009 Verhältniss hat sie ihr einheitliches Princip. Sie denkt den pdi_316.010 Dichter als nach Regeln zum Zweck bestimmter Wirkung sein pdi_316.011 Werk hervorbringend. Sie ist eine Technik, und in ihr herrscht pdi_316.012 der Verstand. Von ihrem einfachen Grundgedanken aus hat sie pdi_316.013 mit unübertroffener Klarheit die Formen der Dichtung definirt, pdi_316.014 deren Theile zergliedert und die Regeln festgestellt, nach denen pdi_316.015 diese Theile gebildet und zusammengefügt werden müssen.
pdi_316.016
So ist eine Elementarlehre und Technik der Poesie entstanden, pdi_316.017 welche durch die Begrenzung des angegebenen Princips pdi_316.018 sowie der benutzten schönen Literatur eingeschränkt, aber innerhalb pdi_316.019 dieser Einschränkung mustergültig und höchst wirksam pdi_316.020 ist. Das Schema ihrer Ableitungen ist folgendes: jede Kunst pdi_316.021 Nachahmung; die Künste, welche durch Farben und Form pdi_316.022 abbildlich darstellen, werden von denen unterschieden, welche pdi_316.023 in Rede, Rhythmus und Harmonie ihre Darstellungsmittel pdi_316.024 haben. Unter diesen letzteren wird der Dichtung ihr Rang pdi_316.025 bestimmt. In der Weise der Nachbildung ist dann der Unterschied pdi_316.026 von erzählender und dramatischer Dichtung begründet. pdi_316.027 Insbesondere eine technische Betrachtung der Tragödie wurde pdi_316.028 nun durch die Lehre von der Einheit der Handlung, der pdi_316.029 Schürzung und Lösung des Knotens, der Peripetie und der Erkennung pdi_316.030 begründet, wenn auch die Erörterung der Möglichkeiten pdi_316.031 öfters in Casuistik ausartet.
pdi_316.032
Auch sofern diese Technik des Dramas, als abstrahirt aus pdi_316.033 dem beschränkten griechischen Kreis theatralischer Kunst, bestritten pdi_316.034 worden ist, diente sie doch, bei den neueren Dramatikern pdi_316.035 das ästhetische Bewusstsein von einer Technik der Bühne pdi_316.036 auszubilden. Der Schöpfer des spanischen Theaters Lope de
pdi_316.001 Poetik ein Mannigfaches solcher Wirkungen für die Dichtung, pdi_316.002 dem Wechsel der von ihr nachgebildeten Gegenstände entsprechend, pdi_316.003 angenommen. Die Poetik erkannte also in empirischer pdi_316.004 Unbefangenheit das Mannigfache der poetischen Wirkung an. pdi_316.005 Aber der Grund dieser Wirkung lag ihr nur in dem Verhältniss pdi_316.006 zwischen dem Nachbilden, den Gegenständen desselben pdi_316.007 und den Mitteln. Allein aus diesem Verhältniss wurden von pdi_316.008 ihr die Formen und Regeln der Dichtung abgeleitet. In diesem pdi_316.009 Verhältniss hat sie ihr einheitliches Princip. Sie denkt den pdi_316.010 Dichter als nach Regeln zum Zweck bestimmter Wirkung sein pdi_316.011 Werk hervorbringend. Sie ist eine Technik, und in ihr herrscht pdi_316.012 der Verstand. Von ihrem einfachen Grundgedanken aus hat sie pdi_316.013 mit unübertroffener Klarheit die Formen der Dichtung definirt, pdi_316.014 deren Theile zergliedert und die Regeln festgestellt, nach denen pdi_316.015 diese Theile gebildet und zusammengefügt werden müssen.
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So ist eine Elementarlehre und Technik der Poesie entstanden, pdi_316.017 welche durch die Begrenzung des angegebenen Princips pdi_316.018 sowie der benutzten schönen Literatur eingeschränkt, aber innerhalb pdi_316.019 dieser Einschränkung mustergültig und höchst wirksam pdi_316.020 ist. Das Schema ihrer Ableitungen ist folgendes: jede Kunst pdi_316.021 Nachahmung; die Künste, welche durch Farben und Form pdi_316.022 abbildlich darstellen, werden von denen unterschieden, welche pdi_316.023 in Rede, Rhythmus und Harmonie ihre Darstellungsmittel pdi_316.024 haben. Unter diesen letzteren wird der Dichtung ihr Rang pdi_316.025 bestimmt. In der Weise der Nachbildung ist dann der Unterschied pdi_316.026 von erzählender und dramatischer Dichtung begründet. pdi_316.027 Insbesondere eine technische Betrachtung der Tragödie wurde pdi_316.028 nun durch die Lehre von der Einheit der Handlung, der pdi_316.029 Schürzung und Lösung des Knotens, der Peripetie und der Erkennung pdi_316.030 begründet, wenn auch die Erörterung der Möglichkeiten pdi_316.031 öfters in Casuistik ausartet.
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Auch sofern diese Technik des Dramas, als abstrahirt aus pdi_316.033 dem beschränkten griechischen Kreis theatralischer Kunst, bestritten pdi_316.034 worden ist, diente sie doch, bei den neueren Dramatikern pdi_316.035 das ästhetische Bewusstsein von einer Technik der Bühne pdi_316.036 auszubilden. Der Schöpfer des spanischen Theaters Lope de
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Poetik ein Mannigfaches solcher Wirkungen für die Dichtung, pdi_316.002
dem Wechsel der von ihr nachgebildeten Gegenstände entsprechend, pdi_316.003
angenommen. Die Poetik erkannte also in empirischer pdi_316.004
Unbefangenheit das Mannigfache der poetischen Wirkung an. pdi_316.005
Aber der Grund dieser Wirkung lag ihr nur in dem Verhältniss pdi_316.006
zwischen dem Nachbilden, den Gegenständen desselben pdi_316.007
und den Mitteln. Allein aus diesem Verhältniss wurden von pdi_316.008
ihr die Formen und Regeln der Dichtung abgeleitet. In diesem pdi_316.009
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Dichter als nach Regeln zum Zweck bestimmter Wirkung sein pdi_316.011
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So ist eine Elementarlehre und Technik der Poesie entstanden, pdi_316.017
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Schürzung und Lösung des Knotens, der Peripetie und der Erkennung pdi_316.030
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