Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_462.001 13. Die Mittel der poetischen Darstellung pdi_462.014 Die Lehre von den Darstellungsmitteln ist in der Rhetorik pdi_462.035 pdi_462.001 13. Die Mittel der poetischen Darstellung pdi_462.014 Die Lehre von den Darstellungsmitteln ist in der Rhetorik pdi_462.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0164" n="462"/><lb n="pdi_462.001"/> mir angeboren oder in mir entstanden, Gott weiss wie. Meine <lb n="pdi_462.002"/> Frauencharaktere sind alle besser, als sie in der Wirklichkeit <lb n="pdi_462.003"/> anzutreffen sind.“ Er bemerkte sehr wohl, wie die Auffassung <lb n="pdi_462.004"/> der Structur oder typischen Wesenheit eines Charakters in <lb n="pdi_462.005"/> dieser inneren Nothwendigkeit begründet ist, mit welcher seine <lb n="pdi_462.006"/> Züge einander bedingen, und nur den Grund unsrer Kenntniss <lb n="pdi_462.007"/> hiervon durchschaute er nicht. „Es liegt in den Charakteren <lb n="pdi_462.008"/> eine gewisse Nothwendigkeit, eine gewisse Consequenz, vermöge <lb n="pdi_462.009"/> welcher bei diesem oder jenem Grundzug des Charakters <lb n="pdi_462.010"/> gewisse secundäre Züge stattfinden. Dies lehrt die Empirie <lb n="pdi_462.011"/> genugsam; es kann aber auch einzelnen Individuen die Kenntniss <lb n="pdi_462.012"/> davon angeboren sein.“</p> <lb n="pdi_462.013"/> <p> <hi rendition="#et"> 13. Die <hi rendition="#g">Mittel der poetischen Darstellung</hi> <lb n="pdi_462.014"/> entstehen, indem die Ziele der Dichtung: sinnliche Energie, <lb n="pdi_462.015"/> welche Illusion hervorbringt, Gefühlswirkung, welche dauernde <lb n="pdi_462.016"/> Befriedigung erregt, und Verallgemeinerung sowie <lb n="pdi_462.017"/> Orientirung des Einzelnen am Denkzusammenhang, welche <lb n="pdi_462.018"/> dem Erlebten Bedeutsamkeit giebt, den ganzen Körper <lb n="pdi_462.019"/> der Dichtung beleben und bis in das einzelne Wort <lb n="pdi_462.020"/> hinein, gleichsam bis in die Fingerspitzen dieses Körpers <lb n="pdi_462.021"/> wirken. So entstehen sinnliche Veranschaulichung, bildlicher <lb n="pdi_462.022"/> Ausdruck, Figur, Tropus, Metrum, Reim. Die <lb n="pdi_462.023"/> Poetik hat zu zeigen, wie die <hi rendition="#g">im Kern der Fabel <lb n="pdi_462.024"/> wirksame Natur des dichterischen Schaffens</hi> <lb n="pdi_462.025"/> sich zuletzt in <hi rendition="#g">diesen Darstellungsmitteln kundgiebt.</hi> <lb n="pdi_462.026"/> Daher äussert sich die gefühlskräftige Bewegung, <lb n="pdi_462.027"/> welche die Handlung hervorgebracht hat, schliesslich <lb n="pdi_462.028"/> auch in den Figuren der Rede. Und daher ist zugleich <lb n="pdi_462.029"/> das im Kern des Erlebnisses enthaltene Verhältniss von <lb n="pdi_462.030"/> innerem Zustand und Bildzusammenhang, durch welches <lb n="pdi_462.031"/> die Fabel zu einem Symbol wird, in grossen Dichtern <lb n="pdi_462.032"/> so sehr geistige Form ihres Schaffens, dass hieraus <lb n="pdi_462.033"/> vielfache Mittel der Darstellung entstehen.</hi> </p> <lb n="pdi_462.034"/> <p> Die Lehre von den Darstellungsmitteln ist in der Rhetorik <lb n="pdi_462.035"/> und Poetik der Alten von dem Standpunkte der <hi rendition="#g">Formbetrachtung</hi> <lb n="pdi_462.036"/> aus mustergültig entwickelt worden. Noch die </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [462/0164]
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mir angeboren oder in mir entstanden, Gott weiss wie. Meine pdi_462.002
Frauencharaktere sind alle besser, als sie in der Wirklichkeit pdi_462.003
anzutreffen sind.“ Er bemerkte sehr wohl, wie die Auffassung pdi_462.004
der Structur oder typischen Wesenheit eines Charakters in pdi_462.005
dieser inneren Nothwendigkeit begründet ist, mit welcher seine pdi_462.006
Züge einander bedingen, und nur den Grund unsrer Kenntniss pdi_462.007
hiervon durchschaute er nicht. „Es liegt in den Charakteren pdi_462.008
eine gewisse Nothwendigkeit, eine gewisse Consequenz, vermöge pdi_462.009
welcher bei diesem oder jenem Grundzug des Charakters pdi_462.010
gewisse secundäre Züge stattfinden. Dies lehrt die Empirie pdi_462.011
genugsam; es kann aber auch einzelnen Individuen die Kenntniss pdi_462.012
davon angeboren sein.“
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13. Die Mittel der poetischen Darstellung pdi_462.014
entstehen, indem die Ziele der Dichtung: sinnliche Energie, pdi_462.015
welche Illusion hervorbringt, Gefühlswirkung, welche dauernde pdi_462.016
Befriedigung erregt, und Verallgemeinerung sowie pdi_462.017
Orientirung des Einzelnen am Denkzusammenhang, welche pdi_462.018
dem Erlebten Bedeutsamkeit giebt, den ganzen Körper pdi_462.019
der Dichtung beleben und bis in das einzelne Wort pdi_462.020
hinein, gleichsam bis in die Fingerspitzen dieses Körpers pdi_462.021
wirken. So entstehen sinnliche Veranschaulichung, bildlicher pdi_462.022
Ausdruck, Figur, Tropus, Metrum, Reim. Die pdi_462.023
Poetik hat zu zeigen, wie die im Kern der Fabel pdi_462.024
wirksame Natur des dichterischen Schaffens pdi_462.025
sich zuletzt in diesen Darstellungsmitteln kundgiebt. pdi_462.026
Daher äussert sich die gefühlskräftige Bewegung, pdi_462.027
welche die Handlung hervorgebracht hat, schliesslich pdi_462.028
auch in den Figuren der Rede. Und daher ist zugleich pdi_462.029
das im Kern des Erlebnisses enthaltene Verhältniss von pdi_462.030
innerem Zustand und Bildzusammenhang, durch welches pdi_462.031
die Fabel zu einem Symbol wird, in grossen Dichtern pdi_462.032
so sehr geistige Form ihres Schaffens, dass hieraus pdi_462.033
vielfache Mittel der Darstellung entstehen.
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und Poetik der Alten von dem Standpunkte der Formbetrachtung pdi_462.036
aus mustergültig entwickelt worden. Noch die
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