pdi_313.001 wollte aus der Lectüre der Schriftsteller ein rationales pdi_313.002 Bewusstsein von den Regeln der Sprachen, des Denkens, pdi_313.003 des rednerischen und dichterischen Styls sowie eine darauf gegründete pdi_313.004 Sicherheit der Technik gewinnen. Dieser berechtigte pdi_313.005 Gedanke wurde in der Blüthezeit unseres griechischen Humanismus pdi_313.006 durch einen anderen verdrängt, dessen Geltung doch beschränkter pdi_313.007 ist. Die geschichtliche Erkenntniss des griechischen pdi_313.008 Geistes in seiner Idealität sollte nun zur schönen Menschlichkeit pdi_313.009 erziehen. Kehrt die Gelehrtenschule zu ihrem alten Grundgedanken pdi_313.010 in einer reiferen, mit unserem geschichtlichen Bewusstsein pdi_313.011 ausgeglichenen Form zurück, dann wird sie auch einer pdi_313.012 erneuerten Poetik bedürfen, wie einer erneuerten Rhetorik und pdi_313.013 einer fortgebildeten Logik.
pdi_313.014
Die erworbenen Einsichten und die neuen Aufgaben der Poetik.
pdi_313.015
1. Die Poetik als Formenlehre und Technik.
pdi_313.016
Die Poetik, wie sie Aristoteles begründet und die Folgezeit pdi_313.017 bis in das 18. Jahrhundert benutzt und bereichert hat, war eine pdi_313.018 Formenlehre und eine auf diese gegründete Technik.
pdi_313.019
Aristoteles hat überall das Verfahren von Verallgemeinerung, pdi_313.020 welche die Formen aus den Einzelthatsachen ableitet und sie pdi_313.021 coordinirt, sowie von Zergliederung, welche die Zusammensetzung pdi_313.022 dieser Formen aus Einheiten aufzeigt, angewandt: seine Methode pdi_313.023 ist descriptiv, nicht ächte Causalerklärung. Und zwar pdi_313.024 haben seine Grammatik, Logik, Rhetorik und Poetik augenscheinlich pdi_313.025 zur Grundlage die Beobachtungen, Zergliederungen, pdi_313.026 Formbegriffe und Regeln, welche in der Kunstübung selber pdi_313.027 entstanden und in der schulmässigen Bearbeitung der Sophisten pdi_313.028 durchgebildet worden waren. Indem er constante Formen nachweist, pdi_313.029 ordnet und so zergliedert, dass man Einheiten zu ersten pdi_313.030 Verbindungen und diese zu höheren Systemen zusammentreten pdi_313.031 sieht, vermag er überall das Erbgut des Handwerks selbst und pdi_313.032 das schulmässige von den Sophisten ausgebildete technische pdi_313.033 Wissen zu verwenden. Lehrte doch ein grosser Theil des
pdi_313.001 wollte aus der Lectüre der Schriftsteller ein rationales pdi_313.002 Bewusstsein von den Regeln der Sprachen, des Denkens, pdi_313.003 des rednerischen und dichterischen Styls sowie eine darauf gegründete pdi_313.004 Sicherheit der Technik gewinnen. Dieser berechtigte pdi_313.005 Gedanke wurde in der Blüthezeit unseres griechischen Humanismus pdi_313.006 durch einen anderen verdrängt, dessen Geltung doch beschränkter pdi_313.007 ist. Die geschichtliche Erkenntniss des griechischen pdi_313.008 Geistes in seiner Idealität sollte nun zur schönen Menschlichkeit pdi_313.009 erziehen. Kehrt die Gelehrtenschule zu ihrem alten Grundgedanken pdi_313.010 in einer reiferen, mit unserem geschichtlichen Bewusstsein pdi_313.011 ausgeglichenen Form zurück, dann wird sie auch einer pdi_313.012 erneuerten Poetik bedürfen, wie einer erneuerten Rhetorik und pdi_313.013 einer fortgebildeten Logik.
pdi_313.014
Die erworbenen Einsichten und die neuen Aufgaben der Poetik.
pdi_313.015
1. Die Poetik als Formenlehre und Technik.
pdi_313.016
Die Poetik, wie sie Aristoteles begründet und die Folgezeit pdi_313.017 bis in das 18. Jahrhundert benutzt und bereichert hat, war eine pdi_313.018 Formenlehre und eine auf diese gegründete Technik.
pdi_313.019
Aristoteles hat überall das Verfahren von Verallgemeinerung, pdi_313.020 welche die Formen aus den Einzelthatsachen ableitet und sie pdi_313.021 coordinirt, sowie von Zergliederung, welche die Zusammensetzung pdi_313.022 dieser Formen aus Einheiten aufzeigt, angewandt: seine Methode pdi_313.023 ist descriptiv, nicht ächte Causalerklärung. Und zwar pdi_313.024 haben seine Grammatik, Logik, Rhetorik und Poetik augenscheinlich pdi_313.025 zur Grundlage die Beobachtungen, Zergliederungen, pdi_313.026 Formbegriffe und Regeln, welche in der Kunstübung selber pdi_313.027 entstanden und in der schulmässigen Bearbeitung der Sophisten pdi_313.028 durchgebildet worden waren. Indem er constante Formen nachweist, pdi_313.029 ordnet und so zergliedert, dass man Einheiten zu ersten pdi_313.030 Verbindungen und diese zu höheren Systemen zusammentreten pdi_313.031 sieht, vermag er überall das Erbgut des Handwerks selbst und pdi_313.032 das schulmässige von den Sophisten ausgebildete technische pdi_313.033 Wissen zu verwenden. Lehrte doch ein grosser Theil des
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0015"n="313"/><lbn="pdi_313.001"/>
wollte aus der Lectüre der Schriftsteller ein rationales <lbn="pdi_313.002"/>
Bewusstsein von den Regeln der Sprachen, des Denkens, <lbn="pdi_313.003"/>
des rednerischen und dichterischen Styls sowie eine darauf gegründete <lbn="pdi_313.004"/>
Sicherheit der Technik gewinnen. Dieser berechtigte <lbn="pdi_313.005"/>
Gedanke wurde in der Blüthezeit unseres griechischen Humanismus <lbn="pdi_313.006"/>
durch einen anderen verdrängt, dessen Geltung doch beschränkter <lbn="pdi_313.007"/>
ist. Die geschichtliche Erkenntniss des griechischen <lbn="pdi_313.008"/>
Geistes in seiner Idealität sollte nun zur schönen Menschlichkeit <lbn="pdi_313.009"/>
erziehen. Kehrt die Gelehrtenschule zu ihrem alten Grundgedanken <lbn="pdi_313.010"/>
in einer reiferen, mit unserem geschichtlichen Bewusstsein <lbn="pdi_313.011"/>
ausgeglichenen Form zurück, dann wird sie auch einer <lbn="pdi_313.012"/>
erneuerten Poetik bedürfen, wie einer erneuerten Rhetorik und <lbn="pdi_313.013"/>
einer fortgebildeten Logik.</p></div><divn="1"><lbn="pdi_313.014"/><head><hirendition="#c"><hirendition="#b">Die erworbenen Einsichten und die neuen Aufgaben der Poetik.</hi></hi></head><lbn="pdi_313.015"/><divn="2"><head><hirendition="#c"> 1. <hirendition="#g">Die Poetik als Formenlehre und Technik.</hi></hi></head><lbn="pdi_313.016"/><p> Die Poetik, wie sie Aristoteles begründet und die Folgezeit <lbn="pdi_313.017"/>
bis in das 18. Jahrhundert benutzt und bereichert hat, war eine <lbn="pdi_313.018"/>
Formenlehre und eine auf diese gegründete Technik.</p><lbn="pdi_313.019"/><p> Aristoteles hat überall das Verfahren von Verallgemeinerung, <lbn="pdi_313.020"/>
welche die Formen aus den Einzelthatsachen ableitet und sie <lbn="pdi_313.021"/>
coordinirt, sowie von Zergliederung, welche die Zusammensetzung <lbn="pdi_313.022"/>
dieser Formen aus Einheiten aufzeigt, angewandt: seine Methode <lbn="pdi_313.023"/>
ist descriptiv, nicht ächte Causalerklärung. Und zwar <lbn="pdi_313.024"/>
haben seine Grammatik, Logik, Rhetorik und Poetik augenscheinlich <lbn="pdi_313.025"/>
zur Grundlage die Beobachtungen, Zergliederungen, <lbn="pdi_313.026"/>
Formbegriffe und Regeln, welche in der Kunstübung selber <lbn="pdi_313.027"/>
entstanden und in der schulmässigen Bearbeitung der Sophisten <lbn="pdi_313.028"/>
durchgebildet worden waren. Indem er constante Formen nachweist, <lbn="pdi_313.029"/>
ordnet und so zergliedert, dass man Einheiten zu ersten <lbn="pdi_313.030"/>
Verbindungen und diese zu höheren Systemen zusammentreten <lbn="pdi_313.031"/>
sieht, vermag er überall das Erbgut des Handwerks selbst und <lbn="pdi_313.032"/>
das schulmässige von den Sophisten ausgebildete technische <lbn="pdi_313.033"/>
Wissen zu verwenden. Lehrte doch ein grosser Theil des
</p></div></div></body></text></TEI>
[313/0015]
pdi_313.001
wollte aus der Lectüre der Schriftsteller ein rationales pdi_313.002
Bewusstsein von den Regeln der Sprachen, des Denkens, pdi_313.003
des rednerischen und dichterischen Styls sowie eine darauf gegründete pdi_313.004
Sicherheit der Technik gewinnen. Dieser berechtigte pdi_313.005
Gedanke wurde in der Blüthezeit unseres griechischen Humanismus pdi_313.006
durch einen anderen verdrängt, dessen Geltung doch beschränkter pdi_313.007
ist. Die geschichtliche Erkenntniss des griechischen pdi_313.008
Geistes in seiner Idealität sollte nun zur schönen Menschlichkeit pdi_313.009
erziehen. Kehrt die Gelehrtenschule zu ihrem alten Grundgedanken pdi_313.010
in einer reiferen, mit unserem geschichtlichen Bewusstsein pdi_313.011
ausgeglichenen Form zurück, dann wird sie auch einer pdi_313.012
erneuerten Poetik bedürfen, wie einer erneuerten Rhetorik und pdi_313.013
einer fortgebildeten Logik.
pdi_313.014
Die erworbenen Einsichten und die neuen Aufgaben der Poetik. pdi_313.015
1. Die Poetik als Formenlehre und Technik. pdi_313.016
Die Poetik, wie sie Aristoteles begründet und die Folgezeit pdi_313.017
bis in das 18. Jahrhundert benutzt und bereichert hat, war eine pdi_313.018
Formenlehre und eine auf diese gegründete Technik.
pdi_313.019
Aristoteles hat überall das Verfahren von Verallgemeinerung, pdi_313.020
welche die Formen aus den Einzelthatsachen ableitet und sie pdi_313.021
coordinirt, sowie von Zergliederung, welche die Zusammensetzung pdi_313.022
dieser Formen aus Einheiten aufzeigt, angewandt: seine Methode pdi_313.023
ist descriptiv, nicht ächte Causalerklärung. Und zwar pdi_313.024
haben seine Grammatik, Logik, Rhetorik und Poetik augenscheinlich pdi_313.025
zur Grundlage die Beobachtungen, Zergliederungen, pdi_313.026
Formbegriffe und Regeln, welche in der Kunstübung selber pdi_313.027
entstanden und in der schulmässigen Bearbeitung der Sophisten pdi_313.028
durchgebildet worden waren. Indem er constante Formen nachweist, pdi_313.029
ordnet und so zergliedert, dass man Einheiten zu ersten pdi_313.030
Verbindungen und diese zu höheren Systemen zusammentreten pdi_313.031
sieht, vermag er überall das Erbgut des Handwerks selbst und pdi_313.032
das schulmässige von den Sophisten ausgebildete technische pdi_313.033
Wissen zu verwenden. Lehrte doch ein grosser Theil des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: nicht übernommen;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: keine Angabe;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: aufgelöst;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: DTABf-getreu;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482, hier S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887/15>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.