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Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.

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Technik des Dramas die Form der geschlossenen Handlung pdi_433.002
wieder zur Geltung gebracht, die in dramatischem Unwesen verloren pdi_433.003
gegangen war. Sein Buch ist in der schneidigen Consequenz pdi_433.004
seines Grundgedankens ein wahres Handbuch dramatischer pdi_433.005
Dichtung und Kritik. Er entwickelt aus den Anforderungen an pdi_433.006
die wirkungsvollste Form der Handlung die Regeln des Dramas. pdi_433.007
Diesem Körper der Handlung setzt er dann erst nachträglich pdi_433.008
die tragische Seele ein. So hat er nur eine bestimmte, begrenzte pdi_433.009
Form des Dramas abgeleitet, in der eine einheitlich geschlossene pdi_433.010
Handlung durch ihre Stadien regelrecht hindurchgeführt wird. In pdi_433.011
diesen Grenzen hat Freytag schöne Bemerkungen über die fünf pdi_433.012
Theile des Dramas und die zwischen ihnen befindlichen drei pdi_433.013
dramatischen Momente gemacht. Aber schon die verwickelteren pdi_433.014
Formen der Tragödie Shakespeares lassen sich nicht auf Freytags pdi_433.015
Schema der geschlossenen Handlung zurückführen. Denn pdi_433.016
geht man der Linie nach, die von dem einfachen straffen Bau des pdi_433.017
Macbeth zu dem verwickelten und scheinbar auseinanderfallenden pdi_433.018
des Lear hinführt, so tritt ein merkwürdiger Unterschied der pdi_433.019
tragischen Form hervor. Lear und Hamlet zeigen einen Reichthum pdi_433.020
von Episoden und scharf aufgesetzten Contrasten gegen pdi_433.021
die tragische Grundstimmung, der sich keineswegs zureichend aus pdi_433.022
der Absicht erklärt, die Haupthandlung durch den Gegensatz zu pdi_433.023
erleuchten. Ja sie enthalten vollkommen durchgeführte zweite pdi_433.024
Handlungen, die den Zusammenhang durchbrechen und ebenfalls pdi_433.025
um einer blossen Contrastwirkung willen nicht da sein können. pdi_433.026
Man sieht bald, dass diese Stücke als Seelengemälde eine pdi_433.027
strenge causale Verkettung weder bedürfen noch zulassen. Man pdi_433.028
bemerkt zwischen den causal nicht miteinander verbundenen pdi_433.029
Vorgängen ein inneres Verhältniss besonderer Art. In Hegels pdi_433.030
Idee ist für dasselbe nur ein Vergleich und dazu ein unangemessener pdi_433.031
Vergleich, nicht ein wirkliches Verständniss gefunden. pdi_433.032
Schon Herder macht darauf aufmerksam, wie hier jeder Charakter, pdi_433.033
ja jede Scene in so eigner Färbung erscheint, dass pdi_433.034
man sie in kein anderes Stück versetzt denken könnte. Die pdi_433.035
geheimnissvolle Seele des Dramas, welche in solchen Thatsachen pdi_433.036
sich kundgiebt, tritt nicht etwa aus der Individualität des Dichters

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URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887/135
Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482, hier S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887/135>, abgerufen am 27.11.2024.