Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_424.001 1) pdi_424.036
Schleiermacher Aesthetik, herausgegeben von Lommatzsch, S. 116. pdi_424.001 1) pdi_424.036
Schleiermacher Aesthetik, herausgegeben von Lommatzsch, S. 116. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0126" n="424"/><lb n="pdi_424.001"/> entspricht dem Vorgang der Verstärkung oder Minderung ein <lb n="pdi_424.002"/> <hi rendition="#g">Princip</hi> der verschiedenen <hi rendition="#g">Betonung</hi> der <hi rendition="#g">Bestandtheile</hi> <lb n="pdi_424.003"/> im Verhältniss ihres Gewichtes für das Ganze und der höchsten <lb n="pdi_424.004"/> Energie der herrschenden unter ihnen. Dem Gesetz der Ausschaltung <lb n="pdi_424.005"/> entspricht ein <hi rendition="#g">Princip</hi> der möglichsten Annäherung an <lb n="pdi_424.006"/> <hi rendition="#g">reine Befriedigung</hi> durch Aussonderung des solcher Wirkung <lb n="pdi_424.007"/> Widersprechenden. Dem Gesetz der Ergänzung entspricht das <lb n="pdi_424.008"/> <hi rendition="#g">Princip</hi> der <hi rendition="#g">Herausbildung</hi> des <hi rendition="#g">Wesenhaften</hi> und <hi rendition="#g">Bedeutenden</hi> <lb n="pdi_424.009"/> nach der Beziehung von Zustand und Bild. ─ <lb n="pdi_424.010"/> Hält man die Leistungen dieser Gesetze an die Aufgabe, so entstehen <lb n="pdi_424.011"/> zwei sich ergänzende Principien. <hi rendition="#g">Glaubhaftigkeit</hi> und <lb n="pdi_424.012"/> <hi rendition="#g">Illusion</hi> bildet die Bedingung, unter welcher allein der Dichter <lb n="pdi_424.013"/> seine Aufgabe lösen kann; so bezeichnet sie eine Grenze, an die <lb n="pdi_424.014"/> sein Schaffen gebunden ist. <hi rendition="#g">Aesthetische Freiheit,</hi> die ein <lb n="pdi_424.015"/> von den Zweckhandlungen des Lebens abgetrenntes, beglückendes <lb n="pdi_424.016"/> Reich von Gestalten und Handlungen hervorbringt, wirkt in <lb n="pdi_424.017"/> diesen Grenzen und nach diesen Gesetzen. Wohl wird der <lb n="pdi_424.018"/> Dichter von dem erworbenen Zusammenhang des Seelenlebens <lb n="pdi_424.019"/> und den in ihm gegebenen Gesetzen, Werthverhältnissen und <lb n="pdi_424.020"/> Zwecken der Wirklichkeit bestimmt. Er ist um der Befriedigung <lb n="pdi_424.021"/> seines Lesers oder Hörers willen an sie gebunden. Aber er ist <lb n="pdi_424.022"/> der Uebereinstimmung seiner Bilder mit dem Wirklichen nicht <lb n="pdi_424.023"/> bedürftig. Auf dies Princip der ästhetischen Freiheit hat Schleiermacher <lb n="pdi_424.024"/> seine Aesthetik gegründet. „Es gehört zur Natur des <lb n="pdi_424.025"/> Geistes, dass wir diejenigen Thätigkeiten, die durch die Affection <lb n="pdi_424.026"/> von aussen gebunden werden und in dieser Bestimmtheit ein <lb n="pdi_424.027"/> äusserlich Gegebenes darstellen, von dieser Gebundenheit befreien <lb n="pdi_424.028"/> und sie zu einer selbständigen Darstellung erheben, und dies ist <lb n="pdi_424.029"/> die Kunst<note xml:id="PDI_424_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_424.036"/> Schleiermacher Aesthetik, herausgegeben von Lommatzsch, S. 116.</note>.“ Einseitig betont, begründet dies Princip die Verherrlichung <lb n="pdi_424.030"/> der Phantasie in der romantischen Aesthetik Ludwig <lb n="pdi_424.031"/> Tieck's und seiner Genossen. ─ Betrachtet man endlich die Anordnung <lb n="pdi_424.032"/> der Bestandtheile, die in der Structur des dichterischen <lb n="pdi_424.033"/> Schaffens und des poetischen Eindrucks angelegt ist, so entstehen <lb n="pdi_424.034"/> für dichterische Werke grösseren Umfangs Regeln, welche <lb n="pdi_424.035"/> öfter am Drama entwickelt worden sind. Die Eindruckskraft der </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [424/0126]
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entspricht dem Vorgang der Verstärkung oder Minderung ein pdi_424.002
Princip der verschiedenen Betonung der Bestandtheile pdi_424.003
im Verhältniss ihres Gewichtes für das Ganze und der höchsten pdi_424.004
Energie der herrschenden unter ihnen. Dem Gesetz der Ausschaltung pdi_424.005
entspricht ein Princip der möglichsten Annäherung an pdi_424.006
reine Befriedigung durch Aussonderung des solcher Wirkung pdi_424.007
Widersprechenden. Dem Gesetz der Ergänzung entspricht das pdi_424.008
Princip der Herausbildung des Wesenhaften und Bedeutenden pdi_424.009
nach der Beziehung von Zustand und Bild. ─ pdi_424.010
Hält man die Leistungen dieser Gesetze an die Aufgabe, so entstehen pdi_424.011
zwei sich ergänzende Principien. Glaubhaftigkeit und pdi_424.012
Illusion bildet die Bedingung, unter welcher allein der Dichter pdi_424.013
seine Aufgabe lösen kann; so bezeichnet sie eine Grenze, an die pdi_424.014
sein Schaffen gebunden ist. Aesthetische Freiheit, die ein pdi_424.015
von den Zweckhandlungen des Lebens abgetrenntes, beglückendes pdi_424.016
Reich von Gestalten und Handlungen hervorbringt, wirkt in pdi_424.017
diesen Grenzen und nach diesen Gesetzen. Wohl wird der pdi_424.018
Dichter von dem erworbenen Zusammenhang des Seelenlebens pdi_424.019
und den in ihm gegebenen Gesetzen, Werthverhältnissen und pdi_424.020
Zwecken der Wirklichkeit bestimmt. Er ist um der Befriedigung pdi_424.021
seines Lesers oder Hörers willen an sie gebunden. Aber er ist pdi_424.022
der Uebereinstimmung seiner Bilder mit dem Wirklichen nicht pdi_424.023
bedürftig. Auf dies Princip der ästhetischen Freiheit hat Schleiermacher pdi_424.024
seine Aesthetik gegründet. „Es gehört zur Natur des pdi_424.025
Geistes, dass wir diejenigen Thätigkeiten, die durch die Affection pdi_424.026
von aussen gebunden werden und in dieser Bestimmtheit ein pdi_424.027
äusserlich Gegebenes darstellen, von dieser Gebundenheit befreien pdi_424.028
und sie zu einer selbständigen Darstellung erheben, und dies ist pdi_424.029
die Kunst 1).“ Einseitig betont, begründet dies Princip die Verherrlichung pdi_424.030
der Phantasie in der romantischen Aesthetik Ludwig pdi_424.031
Tieck's und seiner Genossen. ─ Betrachtet man endlich die Anordnung pdi_424.032
der Bestandtheile, die in der Structur des dichterischen pdi_424.033
Schaffens und des poetischen Eindrucks angelegt ist, so entstehen pdi_424.034
für dichterische Werke grösseren Umfangs Regeln, welche pdi_424.035
öfter am Drama entwickelt worden sind. Die Eindruckskraft der
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Schleiermacher Aesthetik, herausgegeben von Lommatzsch, S. 116.
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