Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_406.001 Fügt man das in diesen Bekenntnissen über das Verhältniss pdi_406.019 1) pdi_406.033
In den Skizzen und Fragmenten ein Bericht aus dem Tagebuch pdi_406.034 des Dichters März 1840, (Nachlass I 45), Shakespearestudien (II 303), und pdi_406.035 aus dem Nachlasse "zum Verständniss der eigentümlichen Methode von pdi_406.036 O. Ludwig's Schaffen", I 134. pdi_406.001 Fügt man das in diesen Bekenntnissen über das Verhältniss pdi_406.019 1) pdi_406.033
In den Skizzen und Fragmenten ein Bericht aus dem Tagebuch pdi_406.034 des Dichters März 1840, (Nachlass I 45), Shakespearestudien (II 303), und pdi_406.035 aus dem Nachlasse „zum Verständniss der eigentümlichen Methode von pdi_406.036 O. Ludwig's Schaffen“, I 134. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0108" n="406"/><lb n="pdi_406.001"/> Empfindung anfangs ohne bestimmten und klaren Gegenstand; <lb n="pdi_406.002"/> dieser bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Grundstimmung <lb n="pdi_406.003"/> geht vorher, und auf diese folgt bei mir erst die poetische <lb n="pdi_406.004"/> Idee.“ <hi rendition="#g">Alfieri</hi> erzählt von sich in seiner Selbstbiographie, <lb n="pdi_406.005"/> die meisten seiner Tragödien seien ihm während oder nach dem <lb n="pdi_406.006"/> Anhören von Musik aufgegangen. Und <hi rendition="#g">Kleist</hi> bemerkt: „Ich <lb n="pdi_406.007"/> betrachte die Musik als die Wurzel oder vielmehr, um mich <lb n="pdi_406.008"/> schulgerecht auszusprechen, als die algebraische Formel aller <lb n="pdi_406.009"/> übrigen Künste, und so wie wir schon einen Dichter haben <lb n="pdi_406.010"/> (Goethe), der alle seine Gedanken über die Kunst, die er übt, <lb n="pdi_406.011"/> auf Farben bezogen hat, so habe ich von meiner frühesten <lb n="pdi_406.012"/> Jugend an alles Allgemeine, was ich über die Dichtkunst gedacht <lb n="pdi_406.013"/> habe, auf Töne bezogen. Ich glaube, dass im Generalbass die <lb n="pdi_406.014"/> wichtigsten Aufschlüsse über die Dichtkunst enthalten sind.“ <lb n="pdi_406.015"/> „Wenn ein Werk nur recht frei aus dem Schoos des menschlichen <lb n="pdi_406.016"/> Gemüths hervorgeht, so muss es auch nothwendig der <lb n="pdi_406.017"/> ganzen Menschheit angehören.“</p> <lb n="pdi_406.018"/> <p> Fügt man das in diesen Bekenntnissen über das Verhältniss <lb n="pdi_406.019"/> der Gefühle und Stimmungen zu den dichterischen Bildern Enthaltene <lb n="pdi_406.020"/> an die vorhergehenden über die Entfaltung der Bilder und <lb n="pdi_406.021"/> ihrer Beziehungen, dann erscheinen mir die öfters schon herausgehobenen <lb n="pdi_406.022"/> Selbstbekenntnisse <hi rendition="#g">Otto Ludwigs</hi> nicht mehr so <lb n="pdi_406.023"/> paradox, obwohl ja Ueberreizung seines Nervensystems nicht <lb n="pdi_406.024"/> ohne Einfluss auf die von ihm dargelegten Vorgänge dichterischen <lb n="pdi_406.025"/> Schaffens in seiner Seele gewesen ist. Von den drei <lb n="pdi_406.026"/> Berichten, welche er darüber gegeben hat<note xml:id="PDI_406_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_406.033"/> In den Skizzen und Fragmenten ein Bericht aus dem Tagebuch <lb n="pdi_406.034"/> des Dichters März 1840, (Nachlass I 45), Shakespearestudien (II 303), und <lb n="pdi_406.035"/> aus dem Nachlasse „zum Verständniss der eigentümlichen Methode von <lb n="pdi_406.036"/> O. Ludwig's Schaffen“, I 134.</note>, ist der vollständigste <lb n="pdi_406.027"/> und klarste der folgende: „Mein Verfahren ist dies: es <lb n="pdi_406.028"/> geht eine Stimmung voraus, eine musikalische, die wird mir <lb n="pdi_406.029"/> zur Farbe, dann seh' ich Gestalten, eine oder mehre in irgend <lb n="pdi_406.030"/> einer Stellung und Geberdung für sich oder gegen einander, <lb n="pdi_406.031"/> und dies wie einen Kupferstich auf Papier von jener Farbe, oder <lb n="pdi_406.032"/> genauer ausgedrückt, wie eine Marmorstatue oder plastische </p> </div> </body> </text> </TEI> [406/0108]
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Empfindung anfangs ohne bestimmten und klaren Gegenstand; pdi_406.002
dieser bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Grundstimmung pdi_406.003
geht vorher, und auf diese folgt bei mir erst die poetische pdi_406.004
Idee.“ Alfieri erzählt von sich in seiner Selbstbiographie, pdi_406.005
die meisten seiner Tragödien seien ihm während oder nach dem pdi_406.006
Anhören von Musik aufgegangen. Und Kleist bemerkt: „Ich pdi_406.007
betrachte die Musik als die Wurzel oder vielmehr, um mich pdi_406.008
schulgerecht auszusprechen, als die algebraische Formel aller pdi_406.009
übrigen Künste, und so wie wir schon einen Dichter haben pdi_406.010
(Goethe), der alle seine Gedanken über die Kunst, die er übt, pdi_406.011
auf Farben bezogen hat, so habe ich von meiner frühesten pdi_406.012
Jugend an alles Allgemeine, was ich über die Dichtkunst gedacht pdi_406.013
habe, auf Töne bezogen. Ich glaube, dass im Generalbass die pdi_406.014
wichtigsten Aufschlüsse über die Dichtkunst enthalten sind.“ pdi_406.015
„Wenn ein Werk nur recht frei aus dem Schoos des menschlichen pdi_406.016
Gemüths hervorgeht, so muss es auch nothwendig der pdi_406.017
ganzen Menschheit angehören.“
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Fügt man das in diesen Bekenntnissen über das Verhältniss pdi_406.019
der Gefühle und Stimmungen zu den dichterischen Bildern Enthaltene pdi_406.020
an die vorhergehenden über die Entfaltung der Bilder und pdi_406.021
ihrer Beziehungen, dann erscheinen mir die öfters schon herausgehobenen pdi_406.022
Selbstbekenntnisse Otto Ludwigs nicht mehr so pdi_406.023
paradox, obwohl ja Ueberreizung seines Nervensystems nicht pdi_406.024
ohne Einfluss auf die von ihm dargelegten Vorgänge dichterischen pdi_406.025
Schaffens in seiner Seele gewesen ist. Von den drei pdi_406.026
Berichten, welche er darüber gegeben hat 1), ist der vollständigste pdi_406.027
und klarste der folgende: „Mein Verfahren ist dies: es pdi_406.028
geht eine Stimmung voraus, eine musikalische, die wird mir pdi_406.029
zur Farbe, dann seh' ich Gestalten, eine oder mehre in irgend pdi_406.030
einer Stellung und Geberdung für sich oder gegen einander, pdi_406.031
und dies wie einen Kupferstich auf Papier von jener Farbe, oder pdi_406.032
genauer ausgedrückt, wie eine Marmorstatue oder plastische
1) pdi_406.033
In den Skizzen und Fragmenten ein Bericht aus dem Tagebuch pdi_406.034
des Dichters März 1840, (Nachlass I 45), Shakespearestudien (II 303), und pdi_406.035
aus dem Nachlasse „zum Verständniss der eigentümlichen Methode von pdi_406.036
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