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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Metaphysik und Erkenntnißtheorie.
angewandt werden: die Vorstellung von Uebereinstimmung ent-
weicht so in das Unbestimmte. Der Rechtsnachfolger des Step-
tikers ist der Erkenntnißtheoretiker. Hier sind wir an der Grenze
angelangt, an welcher das nächste Buch anheben wird: vor dem
erkenntnißtheoretischen Standpunkte der Menschheit. Denn das
moderne wissenschaftliche Bewußtsein ist einerseits bedingt durch
die Thatsache der relativ selbständigen Einzelwissenschaften, anderer-
seits durch die erkenntnißtheoretische Stellung des Menschen zu
seinen Objekten. Der Positivismus hat vorwiegend auf die erstere
Seite desselben seine philosophische Grundlegung aufgebaut, die
Transcendentalphilosophie auf die andere. An dem Punkte der
intellektuellen Geschichte, an welchem die metaphysische Stellung
des Menschen endigt, wird das folgende Buch ansetzen und die
Geschichte des modernen wissenschaftlichen Bewußtseins in seiner
Beziehung zu den Geisteswissenschaften darlegen, wie es durch die
erkenntnißtheoretische Stellung zu den Objekten bedingt ist. Diese
historische Darstellung wird noch zu zeigen haben, wie die Rück-
stände der metaphysischen Epoche nur langsam überwunden und so
die Konsequenzen der erkenntnißtheoretischen Stellung nur sehr all-
mälig gezogen wurden. Sie wird sichtbar machen, wie innerhalb
der erkenntnißtheoretischen Grundlegung selber die Abstraktionen,
welche die dargelegte Geschichte der Metaphysik hinterlassen hat,
nur spät und bis heute noch sehr unvollständig weggeräumt worden
sind. So soll sie zu dem psychologischen Standpunkte hinführen,
welcher nicht von der Abstraktion einer isolirten Intelligenz, sondern
von dem Ganzen der Thatsachen des Bewußtseins aus das Pro-
blein der Erkenntniß aufzulösen unternimmt. Denn in Kant voll-
zog sich nur die Selbstzersetzung der Abstraktionen, welche die von
uns geschilderte Geschichte der Metaphysik geschaffen hat; nun
gilt es, die Wirklichkeit des inneren Lebens unbefangen gewahr
zu werden und, von ihr ausgehend, festzustellen, was Natur und
Geschichte diesem inneren Leben sind.



Metaphyſik und Erkenntnißtheorie.
angewandt werden: die Vorſtellung von Uebereinſtimmung ent-
weicht ſo in das Unbeſtimmte. Der Rechtsnachfolger des Step-
tikers iſt der Erkenntnißtheoretiker. Hier ſind wir an der Grenze
angelangt, an welcher das nächſte Buch anheben wird: vor dem
erkenntnißtheoretiſchen Standpunkte der Menſchheit. Denn das
moderne wiſſenſchaftliche Bewußtſein iſt einerſeits bedingt durch
die Thatſache der relativ ſelbſtändigen Einzelwiſſenſchaften, anderer-
ſeits durch die erkenntnißtheoretiſche Stellung des Menſchen zu
ſeinen Objekten. Der Poſitivismus hat vorwiegend auf die erſtere
Seite deſſelben ſeine philoſophiſche Grundlegung aufgebaut, die
Tranſcendentalphiloſophie auf die andere. An dem Punkte der
intellektuellen Geſchichte, an welchem die metaphyſiſche Stellung
des Menſchen endigt, wird das folgende Buch anſetzen und die
Geſchichte des modernen wiſſenſchaftlichen Bewußtſeins in ſeiner
Beziehung zu den Geiſteswiſſenſchaften darlegen, wie es durch die
erkenntnißtheoretiſche Stellung zu den Objekten bedingt iſt. Dieſe
hiſtoriſche Darſtellung wird noch zu zeigen haben, wie die Rück-
ſtände der metaphyſiſchen Epoche nur langſam überwunden und ſo
die Konſequenzen der erkenntnißtheoretiſchen Stellung nur ſehr all-
mälig gezogen wurden. Sie wird ſichtbar machen, wie innerhalb
der erkenntnißtheoretiſchen Grundlegung ſelber die Abſtraktionen,
welche die dargelegte Geſchichte der Metaphyſik hinterlaſſen hat,
nur ſpät und bis heute noch ſehr unvollſtändig weggeräumt worden
ſind. So ſoll ſie zu dem pſychologiſchen Standpunkte hinführen,
welcher nicht von der Abſtraktion einer iſolirten Intelligenz, ſondern
von dem Ganzen der Thatſachen des Bewußtſeins aus das Pro-
blein der Erkenntniß aufzulöſen unternimmt. Denn in Kant voll-
zog ſich nur die Selbſtzerſetzung der Abſtraktionen, welche die von
uns geſchilderte Geſchichte der Metaphyſik geſchaffen hat; nun
gilt es, die Wirklichkeit des inneren Lebens unbefangen gewahr
zu werden und, von ihr ausgehend, feſtzuſtellen, was Natur und
Geſchichte dieſem inneren Leben ſind.



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[519/0542] Metaphyſik und Erkenntnißtheorie. angewandt werden: die Vorſtellung von Uebereinſtimmung ent- weicht ſo in das Unbeſtimmte. Der Rechtsnachfolger des Step- tikers iſt der Erkenntnißtheoretiker. Hier ſind wir an der Grenze angelangt, an welcher das nächſte Buch anheben wird: vor dem erkenntnißtheoretiſchen Standpunkte der Menſchheit. Denn das moderne wiſſenſchaftliche Bewußtſein iſt einerſeits bedingt durch die Thatſache der relativ ſelbſtändigen Einzelwiſſenſchaften, anderer- ſeits durch die erkenntnißtheoretiſche Stellung des Menſchen zu ſeinen Objekten. Der Poſitivismus hat vorwiegend auf die erſtere Seite deſſelben ſeine philoſophiſche Grundlegung aufgebaut, die Tranſcendentalphiloſophie auf die andere. An dem Punkte der intellektuellen Geſchichte, an welchem die metaphyſiſche Stellung des Menſchen endigt, wird das folgende Buch anſetzen und die Geſchichte des modernen wiſſenſchaftlichen Bewußtſeins in ſeiner Beziehung zu den Geiſteswiſſenſchaften darlegen, wie es durch die erkenntnißtheoretiſche Stellung zu den Objekten bedingt iſt. Dieſe hiſtoriſche Darſtellung wird noch zu zeigen haben, wie die Rück- ſtände der metaphyſiſchen Epoche nur langſam überwunden und ſo die Konſequenzen der erkenntnißtheoretiſchen Stellung nur ſehr all- mälig gezogen wurden. Sie wird ſichtbar machen, wie innerhalb der erkenntnißtheoretiſchen Grundlegung ſelber die Abſtraktionen, welche die dargelegte Geſchichte der Metaphyſik hinterlaſſen hat, nur ſpät und bis heute noch ſehr unvollſtändig weggeräumt worden ſind. So ſoll ſie zu dem pſychologiſchen Standpunkte hinführen, welcher nicht von der Abſtraktion einer iſolirten Intelligenz, ſondern von dem Ganzen der Thatſachen des Bewußtſeins aus das Pro- blein der Erkenntniß aufzulöſen unternimmt. Denn in Kant voll- zog ſich nur die Selbſtzerſetzung der Abſtraktionen, welche die von uns geſchilderte Geſchichte der Metaphyſik geſchaffen hat; nun gilt es, die Wirklichkeit des inneren Lebens unbefangen gewahr zu werden und, von ihr ausgehend, feſtzuſtellen, was Natur und Geſchichte dieſem inneren Leben ſind.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/542>, abgerufen am 23.11.2024.