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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Die Begriffe Substanz und Kausalität nicht eindeutig bestimmbar.
einfachere Formen der inneren Verbindung den Zusammenhang
des Weltlaufs zurückzuführen. Zuletzt wurde auch die Zweck-
mäßigkeit als Form eines inneren inhaltlichen Zusammenhangs
in Frage gestellt. Als die beiden inneren Bänder, welche
den Weltlauf in all seinen Theilen zusammenhalten, blieben Sub-
stanz
und Kausalität zurück.

Judem wir uns das Schicksal der Begriffe Substanz und
Kausalität zurückrufen, ergiebt sich: Metaphysik als Wissenschaft ist
unmöglich.

Der denknothwendige Zusammenhang setzt Substanz und Kau-
salität als feste Größen in die Verkettung aufeinanderfolgender
und nebeneinander bestehender Eindrücke ein. Nun erfährt die
Metaphysik ein Wunderbares. Sie ist in dieser Zeit ihrer von
Erkenntnißtheorie noch nicht gebrochenen Zuversicht überzeugt, zu
wissen, was unter Substanz und unter Kausalität zu denken sei.
In Wirklichkeit zeigt ihre Geschichte beständigen Wechsel in der
Bestimmung dieser Begriffe und vergebliche Versuche, sie zu
widerspruchsloser Klarheit zu entwickeln.

Schon unsere Vorstellung des Dinges kann nicht zur Klar-
heit gebracht werden. Wie kann die Einheit, welcher mannichfache
Eigenschaften, Zustände, Wirken und Leiden inhäriren, von diesen
letzteren abgegränzt werden? Das Beharrliche von den Ver-
änderungen? Oder wie vermag ich festzustellen, wann eine Ver-
wandlung desselben Dinges noch stattfindet und wann es vielmehr
aufhört zu sein? Wie vermag ich das in ihm was bleibt von
dem abzusondern was wechselt? Wie kann endlich diese beharr-
liche Einheit als in einem räumlichen Außereinander irgendwo
sitzend gedacht werden? Alles Räumliche ist theilbar, enthält also
nirgend eine zusammenhaltende untheilbare Einheit, und andrer-
seits schwinden mit dem Raume, wenn ich ihn hinwegdenke, alle
sinnlichen Qualitäten des Dinges. Dennoch kann diese Einheit
nicht aus dem bloßen Zusammengerathen verschiedener Ein-
drücke (in Wahrnehmung und Association) erklärt werden; denn
eben im Gegensatz hierzu drückt sie ein inneres Zusammenge-
hören aus.


Die Begriffe Subſtanz und Kauſalität nicht eindeutig beſtimmbar.
einfachere Formen der inneren Verbindung den Zuſammenhang
des Weltlaufs zurückzuführen. Zuletzt wurde auch die Zweck-
mäßigkeit als Form eines inneren inhaltlichen Zuſammenhangs
in Frage geſtellt. Als die beiden inneren Bänder, welche
den Weltlauf in all ſeinen Theilen zuſammenhalten, blieben Sub-
ſtanz
und Kauſalität zurück.

Judem wir uns das Schickſal der Begriffe Subſtanz und
Kauſalität zurückrufen, ergiebt ſich: Metaphyſik als Wiſſenſchaft iſt
unmöglich.

Der denknothwendige Zuſammenhang ſetzt Subſtanz und Kau-
ſalität als feſte Größen in die Verkettung aufeinanderfolgender
und nebeneinander beſtehender Eindrücke ein. Nun erfährt die
Metaphyſik ein Wunderbares. Sie iſt in dieſer Zeit ihrer von
Erkenntnißtheorie noch nicht gebrochenen Zuverſicht überzeugt, zu
wiſſen, was unter Subſtanz und unter Kauſalität zu denken ſei.
In Wirklichkeit zeigt ihre Geſchichte beſtändigen Wechſel in der
Beſtimmung dieſer Begriffe und vergebliche Verſuche, ſie zu
widerſpruchsloſer Klarheit zu entwickeln.

Schon unſere Vorſtellung des Dinges kann nicht zur Klar-
heit gebracht werden. Wie kann die Einheit, welcher mannichfache
Eigenſchaften, Zuſtände, Wirken und Leiden inhäriren, von dieſen
letzteren abgegränzt werden? Das Beharrliche von den Ver-
änderungen? Oder wie vermag ich feſtzuſtellen, wann eine Ver-
wandlung deſſelben Dinges noch ſtattfindet und wann es vielmehr
aufhört zu ſein? Wie vermag ich das in ihm was bleibt von
dem abzuſondern was wechſelt? Wie kann endlich dieſe beharr-
liche Einheit als in einem räumlichen Außereinander irgendwo
ſitzend gedacht werden? Alles Räumliche iſt theilbar, enthält alſo
nirgend eine zuſammenhaltende untheilbare Einheit, und andrer-
ſeits ſchwinden mit dem Raume, wenn ich ihn hinwegdenke, alle
ſinnlichen Qualitäten des Dinges. Dennoch kann dieſe Einheit
nicht aus dem bloßen Zuſammengerathen verſchiedener Ein-
drücke (in Wahrnehmung und Aſſociation) erklärt werden; denn
eben im Gegenſatz hierzu drückt ſie ein inneres Zuſammenge-
hören aus.


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[507/0530] Die Begriffe Subſtanz und Kauſalität nicht eindeutig beſtimmbar. einfachere Formen der inneren Verbindung den Zuſammenhang des Weltlaufs zurückzuführen. Zuletzt wurde auch die Zweck- mäßigkeit als Form eines inneren inhaltlichen Zuſammenhangs in Frage geſtellt. Als die beiden inneren Bänder, welche den Weltlauf in all ſeinen Theilen zuſammenhalten, blieben Sub- ſtanz und Kauſalität zurück. Judem wir uns das Schickſal der Begriffe Subſtanz und Kauſalität zurückrufen, ergiebt ſich: Metaphyſik als Wiſſenſchaft iſt unmöglich. Der denknothwendige Zuſammenhang ſetzt Subſtanz und Kau- ſalität als feſte Größen in die Verkettung aufeinanderfolgender und nebeneinander beſtehender Eindrücke ein. Nun erfährt die Metaphyſik ein Wunderbares. Sie iſt in dieſer Zeit ihrer von Erkenntnißtheorie noch nicht gebrochenen Zuverſicht überzeugt, zu wiſſen, was unter Subſtanz und unter Kauſalität zu denken ſei. In Wirklichkeit zeigt ihre Geſchichte beſtändigen Wechſel in der Beſtimmung dieſer Begriffe und vergebliche Verſuche, ſie zu widerſpruchsloſer Klarheit zu entwickeln. Schon unſere Vorſtellung des Dinges kann nicht zur Klar- heit gebracht werden. Wie kann die Einheit, welcher mannichfache Eigenſchaften, Zuſtände, Wirken und Leiden inhäriren, von dieſen letzteren abgegränzt werden? Das Beharrliche von den Ver- änderungen? Oder wie vermag ich feſtzuſtellen, wann eine Ver- wandlung deſſelben Dinges noch ſtattfindet und wann es vielmehr aufhört zu ſein? Wie vermag ich das in ihm was bleibt von dem abzuſondern was wechſelt? Wie kann endlich dieſe beharr- liche Einheit als in einem räumlichen Außereinander irgendwo ſitzend gedacht werden? Alles Räumliche iſt theilbar, enthält alſo nirgend eine zuſammenhaltende untheilbare Einheit, und andrer- ſeits ſchwinden mit dem Raume, wenn ich ihn hinwegdenke, alle ſinnlichen Qualitäten des Dinges. Dennoch kann dieſe Einheit nicht aus dem bloßen Zuſammengerathen verſchiedener Ein- drücke (in Wahrnehmung und Aſſociation) erklärt werden; denn eben im Gegenſatz hierzu drückt ſie ein inneres Zuſammenge- hören aus.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/530>, abgerufen am 22.11.2024.