Der Mensch bleibt als ausschließliches Objekt der Geistesw. zurück.
Metaphysik eines Geisterreiches durch analytische Untersuchung ver- drängt haben, in dem Menschen, dem Anfangs- und End- punkte ihrer Analysis, den Eingang in eine neue Meta- physik? Oder ist eine Metaphysik der geistigen Thatsachen in jeder Form unmöglich geworden?
Metaphysik als Wissenschaft, ja. Denn der Verlauf der intellektuellen Entwicklung zeigte, daß die Begriffe Substanz und Kausalität sich allmälig aus den lebendigen Erfahrungen unter den Anforderungen einer Erkenntniß der Außenwelt entwickelt haben. Daher können sie dem, der in der Welt der inneren Erfahrung heimisch ist, nicht mehr über diese sagen, als was aus ihnen selber geschöpft ist: was sie mehr sagen, ist eine Hilfskonstruktion für die Erkenntniß der Außenwelt und darum auf das Psychische nicht anwendbar. Auch kann der Satz der metaphysischen Psycho- logie, welcher den selbständigen substantialen und unzerstörbaren Bestand der Seele behauptet, weder bewiesen noch widerlegt werden, vielmehr hat der Beweis aus der Einheit des Bewußtseins nur eine negative Tragweite. Einheit des Bewußtseins liegt jedem Vergleichungsurtheil zu Grunde, da wir in ihm verschiedene Empfindungen, z. B. zwei Nüancen von Roth, zugleich und in der- selben untheilbaren Einheit besitzen müssen: wie könnten wir des Unterschiedes sonst inne werden? Nun kann aus der Konstruktion der Welt, wie sie die mechanische Naturwissenschaft erschließt, diese Thatsache der Bewußtseinseinheit nicht abgeleitet werden. Dächte man sich selbst die Massentheilchen der Materie mit psy- chischem Leben ausgestattet, so könnte für das Ganze eines zu- sammengesetzten Körpers aus diesem Thatbestand ein einheitliches Bewußtsein nicht hervorgehen. Sonach ergiebt sich, daß die mecha- nische Naturwissenschaft die Einheit der Seele als ein ihr gegenüber Selbständiges betrachten muß, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß ein hinter diesen für die Erscheinungswelt gebildeten Hilfsbe- griffen bestehender Zusammenhang der Natur den Ursprung der Ein- heit der Seele in sich enthalte: das sind ganz transscendente Fragen.
Aber das Meta-Physische unseres Lebens als persönliche Er- fahrung d. h. als moralisch-religiöse Wahrheit bleibt übrig. Die
Der Menſch bleibt als ausſchließliches Objekt der Geiſtesw. zurück.
Metaphyſik eines Geiſterreiches durch analytiſche Unterſuchung ver- drängt haben, in dem Menſchen, dem Anfangs- und End- punkte ihrer Analyſis, den Eingang in eine neue Meta- phyſik? Oder iſt eine Metaphyſik der geiſtigen Thatſachen in jeder Form unmöglich geworden?
Metaphyſik als Wiſſenſchaft, ja. Denn der Verlauf der intellektuellen Entwicklung zeigte, daß die Begriffe Subſtanz und Kauſalität ſich allmälig aus den lebendigen Erfahrungen unter den Anforderungen einer Erkenntniß der Außenwelt entwickelt haben. Daher können ſie dem, der in der Welt der inneren Erfahrung heimiſch iſt, nicht mehr über dieſe ſagen, als was aus ihnen ſelber geſchöpft iſt: was ſie mehr ſagen, iſt eine Hilfskonſtruktion für die Erkenntniß der Außenwelt und darum auf das Pſychiſche nicht anwendbar. Auch kann der Satz der metaphyſiſchen Pſycho- logie, welcher den ſelbſtändigen ſubſtantialen und unzerſtörbaren Beſtand der Seele behauptet, weder bewieſen noch widerlegt werden, vielmehr hat der Beweis aus der Einheit des Bewußtſeins nur eine negative Tragweite. Einheit des Bewußtſeins liegt jedem Vergleichungsurtheil zu Grunde, da wir in ihm verſchiedene Empfindungen, z. B. zwei Nüancen von Roth, zugleich und in der- ſelben untheilbaren Einheit beſitzen müſſen: wie könnten wir des Unterſchiedes ſonſt inne werden? Nun kann aus der Konſtruktion der Welt, wie ſie die mechaniſche Naturwiſſenſchaft erſchließt, dieſe Thatſache der Bewußtſeinseinheit nicht abgeleitet werden. Dächte man ſich ſelbſt die Maſſentheilchen der Materie mit pſy- chiſchem Leben ausgeſtattet, ſo könnte für das Ganze eines zu- ſammengeſetzten Körpers aus dieſem Thatbeſtand ein einheitliches Bewußtſein nicht hervorgehen. Sonach ergiebt ſich, daß die mecha- niſche Naturwiſſenſchaft die Einheit der Seele als ein ihr gegenüber Selbſtändiges betrachten muß, aber es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß ein hinter dieſen für die Erſcheinungswelt gebildeten Hilfsbe- griffen beſtehender Zuſammenhang der Natur den Urſprung der Ein- heit der Seele in ſich enthalte: das ſind ganz transſcendente Fragen.
Aber das Meta-Phyſiſche unſeres Lebens als perſönliche Er- fahrung d. h. als moraliſch-religiöſe Wahrheit bleibt übrig. Die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0512"n="489"/><fwplace="top"type="header">Der Menſch bleibt als ausſchließliches Objekt der Geiſtesw. zurück.</fw><lb/>
Metaphyſik eines Geiſterreiches durch analytiſche Unterſuchung ver-<lb/>
drängt haben, <hirendition="#g">in dem Menſchen</hi>, dem Anfangs- und End-<lb/>
punkte ihrer Analyſis, den <hirendition="#g">Eingang in eine neue Meta-<lb/>
phyſik</hi>? Oder iſt eine Metaphyſik der geiſtigen Thatſachen in<lb/>
jeder Form unmöglich geworden?</p><lb/><p>Metaphyſik als Wiſſenſchaft, ja. Denn der Verlauf der<lb/>
intellektuellen Entwicklung zeigte, daß die Begriffe Subſtanz und<lb/>
Kauſalität ſich allmälig aus den lebendigen Erfahrungen unter den<lb/>
Anforderungen einer Erkenntniß der Außenwelt entwickelt haben.<lb/>
Daher können ſie dem, der in der Welt der inneren Erfahrung<lb/>
heimiſch iſt, nicht mehr über dieſe ſagen, als was aus ihnen<lb/>ſelber geſchöpft iſt: was ſie mehr ſagen, iſt eine Hilfskonſtruktion<lb/>
für die Erkenntniß der Außenwelt und darum auf das Pſychiſche<lb/>
nicht anwendbar. Auch kann der Satz der metaphyſiſchen Pſycho-<lb/>
logie, welcher den ſelbſtändigen ſubſtantialen und unzerſtörbaren<lb/>
Beſtand der Seele behauptet, weder bewieſen noch widerlegt werden,<lb/>
vielmehr hat der Beweis aus der Einheit des Bewußtſeins nur<lb/>
eine negative Tragweite. Einheit des Bewußtſeins liegt jedem<lb/>
Vergleichungsurtheil zu Grunde, da wir in ihm verſchiedene<lb/>
Empfindungen, z. B. zwei Nüancen von Roth, zugleich und in der-<lb/>ſelben untheilbaren Einheit beſitzen müſſen: wie könnten wir des<lb/>
Unterſchiedes ſonſt inne werden? Nun kann aus der Konſtruktion<lb/>
der Welt, wie ſie die mechaniſche Naturwiſſenſchaft erſchließt,<lb/>
dieſe Thatſache der Bewußtſeinseinheit nicht abgeleitet werden.<lb/>
Dächte man ſich ſelbſt die Maſſentheilchen der Materie mit pſy-<lb/>
chiſchem Leben ausgeſtattet, ſo könnte für das Ganze eines zu-<lb/>ſammengeſetzten Körpers aus dieſem Thatbeſtand ein einheitliches<lb/>
Bewußtſein nicht hervorgehen. Sonach ergiebt ſich, daß die mecha-<lb/>
niſche Naturwiſſenſchaft die Einheit der Seele als ein ihr gegenüber<lb/>
Selbſtändiges betrachten muß, aber es iſt nicht ausgeſchloſſen,<lb/>
daß ein hinter dieſen für die Erſcheinungswelt gebildeten Hilfsbe-<lb/>
griffen beſtehender Zuſammenhang der Natur den Urſprung der Ein-<lb/>
heit der Seele in ſich enthalte: das ſind ganz transſcendente Fragen.</p><lb/><p>Aber das Meta-Phyſiſche unſeres <hirendition="#g">Lebens</hi> als perſönliche Er-<lb/>
fahrung d. h. als moraliſch-religiöſe Wahrheit bleibt übrig. Die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[489/0512]
Der Menſch bleibt als ausſchließliches Objekt der Geiſtesw. zurück.
Metaphyſik eines Geiſterreiches durch analytiſche Unterſuchung ver-
drängt haben, in dem Menſchen, dem Anfangs- und End-
punkte ihrer Analyſis, den Eingang in eine neue Meta-
phyſik? Oder iſt eine Metaphyſik der geiſtigen Thatſachen in
jeder Form unmöglich geworden?
Metaphyſik als Wiſſenſchaft, ja. Denn der Verlauf der
intellektuellen Entwicklung zeigte, daß die Begriffe Subſtanz und
Kauſalität ſich allmälig aus den lebendigen Erfahrungen unter den
Anforderungen einer Erkenntniß der Außenwelt entwickelt haben.
Daher können ſie dem, der in der Welt der inneren Erfahrung
heimiſch iſt, nicht mehr über dieſe ſagen, als was aus ihnen
ſelber geſchöpft iſt: was ſie mehr ſagen, iſt eine Hilfskonſtruktion
für die Erkenntniß der Außenwelt und darum auf das Pſychiſche
nicht anwendbar. Auch kann der Satz der metaphyſiſchen Pſycho-
logie, welcher den ſelbſtändigen ſubſtantialen und unzerſtörbaren
Beſtand der Seele behauptet, weder bewieſen noch widerlegt werden,
vielmehr hat der Beweis aus der Einheit des Bewußtſeins nur
eine negative Tragweite. Einheit des Bewußtſeins liegt jedem
Vergleichungsurtheil zu Grunde, da wir in ihm verſchiedene
Empfindungen, z. B. zwei Nüancen von Roth, zugleich und in der-
ſelben untheilbaren Einheit beſitzen müſſen: wie könnten wir des
Unterſchiedes ſonſt inne werden? Nun kann aus der Konſtruktion
der Welt, wie ſie die mechaniſche Naturwiſſenſchaft erſchließt,
dieſe Thatſache der Bewußtſeinseinheit nicht abgeleitet werden.
Dächte man ſich ſelbſt die Maſſentheilchen der Materie mit pſy-
chiſchem Leben ausgeſtattet, ſo könnte für das Ganze eines zu-
ſammengeſetzten Körpers aus dieſem Thatbeſtand ein einheitliches
Bewußtſein nicht hervorgehen. Sonach ergiebt ſich, daß die mecha-
niſche Naturwiſſenſchaft die Einheit der Seele als ein ihr gegenüber
Selbſtändiges betrachten muß, aber es iſt nicht ausgeſchloſſen,
daß ein hinter dieſen für die Erſcheinungswelt gebildeten Hilfsbe-
griffen beſtehender Zuſammenhang der Natur den Urſprung der Ein-
heit der Seele in ſich enthalte: das ſind ganz transſcendente Fragen.
Aber das Meta-Phyſiſche unſeres Lebens als perſönliche Er-
fahrung d. h. als moraliſch-religiöſe Wahrheit bleibt übrig. Die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/512>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.