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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Gegensatz des metaph. Geistes u. der modernen Naturwissenschaft.
Bedingung und Voraussetzung auf; aus dem Willen der Erkennt-
niß schöpft sie ihre Kraft, ihre Erklärungen aber können diesen in
seiner vollen Realität nur verneinen.

Der Rückstand der so der wissenschaftlichen Erklärung zurück-
bleibt, ist thatsächlich in dem Bewußtsein verbunden mit dem
ganzen Verhältniß zur Natur, welches in der Totalität unseres
geistigen Lebens gegründet ist und aus welchem sich die moderne
wissenschaftliche Naturbetrachtung differenzirt und verselbständigt
hat. Wir haben nachgewiesen, daß in dem Geist von Plato oder
Aristoteles, von Augustinus oder Thomas von Aquino diese Diffe-
renzirung noch nicht bestand; in ihre Betrachtung der Naturformen
war noch das Bewußtsein von Vollkommenheit, von gedanken-
mäßiger Schönheit des Weltalls untrennbar verwebt. Die Son-
derung der mechanischen Naturerklärung aus diesem Zusammen-
hang des Lebens, in welchem uns die Natur gegeben ist, hat erst
den Zweckgedanken aus der Naturwissenschaft ausgestoßen. Er
bleibt jedoch in dem Zusammenhang des Lebens, welchem die
Natur gegeben ist, enthalten, und wenn man die Teleologie im
Sinne der Griechen als dies Bewußtsein von dem gedanken-
mäßigen, unserem inneren Leben entsprechenden schönen Zusammen-
hang erkennt, ist diese Idee von Zweckmäßigkeit im Menschen-
geschlechte unzerstörbar. In den Formen, Gattungen und Arten
der Natur bleibt ein Ausdruck dieser immanenten Zweckmäßigkeit
enthalten und wird selbst von dem Darwinisten nur weiter zu-
rückgeschoben. Auch steht dieses Bewußtsein der Zweckmäßigkeit in
einem inneren Verhältniß zu der Erkenntniß der Gedankenmäßig-
keit der Natur, kraft welcher in ihr nach Gesetzen Typen hervor-
gebracht werden. Diese Gedankenmäßigkeit ist aber streng beweis-
bar. Denn gleichviel wovon unsere Eindrücke Zeichen sind, der
Verlauf unseres Naturwissens vermag, die Koexistenz und Succession
dieser Zeichen, welche in einem festen Verhältniß zu dem im
Willen gegebenen Anderen stehen, in ein System aufzulösen,
welches den Eigenschaften unseres Erkennens entspricht.

Mit der Macht einer unwiderstehlichen Naturerscheinung hat
sich zugleich mit der Durchführung der mechanischen Naturer-

Gegenſatz des metaph. Geiſtes u. der modernen Naturwiſſenſchaft.
Bedingung und Vorausſetzung auf; aus dem Willen der Erkennt-
niß ſchöpft ſie ihre Kraft, ihre Erklärungen aber können dieſen in
ſeiner vollen Realität nur verneinen.

Der Rückſtand der ſo der wiſſenſchaftlichen Erklärung zurück-
bleibt, iſt thatſächlich in dem Bewußtſein verbunden mit dem
ganzen Verhältniß zur Natur, welches in der Totalität unſeres
geiſtigen Lebens gegründet iſt und aus welchem ſich die moderne
wiſſenſchaftliche Naturbetrachtung differenzirt und verſelbſtändigt
hat. Wir haben nachgewieſen, daß in dem Geiſt von Plato oder
Ariſtoteles, von Auguſtinus oder Thomas von Aquino dieſe Diffe-
renzirung noch nicht beſtand; in ihre Betrachtung der Naturformen
war noch das Bewußtſein von Vollkommenheit, von gedanken-
mäßiger Schönheit des Weltalls untrennbar verwebt. Die Son-
derung der mechaniſchen Naturerklärung aus dieſem Zuſammen-
hang des Lebens, in welchem uns die Natur gegeben iſt, hat erſt
den Zweckgedanken aus der Naturwiſſenſchaft ausgeſtoßen. Er
bleibt jedoch in dem Zuſammenhang des Lebens, welchem die
Natur gegeben iſt, enthalten, und wenn man die Teleologie im
Sinne der Griechen als dies Bewußtſein von dem gedanken-
mäßigen, unſerem inneren Leben entſprechenden ſchönen Zuſammen-
hang erkennt, iſt dieſe Idee von Zweckmäßigkeit im Menſchen-
geſchlechte unzerſtörbar. In den Formen, Gattungen und Arten
der Natur bleibt ein Ausdruck dieſer immanenten Zweckmäßigkeit
enthalten und wird ſelbſt von dem Darwiniſten nur weiter zu-
rückgeſchoben. Auch ſteht dieſes Bewußtſein der Zweckmäßigkeit in
einem inneren Verhältniß zu der Erkenntniß der Gedankenmäßig-
keit der Natur, kraft welcher in ihr nach Geſetzen Typen hervor-
gebracht werden. Dieſe Gedankenmäßigkeit iſt aber ſtreng beweis-
bar. Denn gleichviel wovon unſere Eindrücke Zeichen ſind, der
Verlauf unſeres Naturwiſſens vermag, die Koexiſtenz und Succeſſion
dieſer Zeichen, welche in einem feſten Verhältniß zu dem im
Willen gegebenen Anderen ſtehen, in ein Syſtem aufzulöſen,
welches den Eigenſchaften unſeres Erkennens entſpricht.

Mit der Macht einer unwiderſtehlichen Naturerſcheinung hat
ſich zugleich mit der Durchführung der mechaniſchen Naturer-

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[473/0496] Gegenſatz des metaph. Geiſtes u. der modernen Naturwiſſenſchaft. Bedingung und Vorausſetzung auf; aus dem Willen der Erkennt- niß ſchöpft ſie ihre Kraft, ihre Erklärungen aber können dieſen in ſeiner vollen Realität nur verneinen. Der Rückſtand der ſo der wiſſenſchaftlichen Erklärung zurück- bleibt, iſt thatſächlich in dem Bewußtſein verbunden mit dem ganzen Verhältniß zur Natur, welches in der Totalität unſeres geiſtigen Lebens gegründet iſt und aus welchem ſich die moderne wiſſenſchaftliche Naturbetrachtung differenzirt und verſelbſtändigt hat. Wir haben nachgewieſen, daß in dem Geiſt von Plato oder Ariſtoteles, von Auguſtinus oder Thomas von Aquino dieſe Diffe- renzirung noch nicht beſtand; in ihre Betrachtung der Naturformen war noch das Bewußtſein von Vollkommenheit, von gedanken- mäßiger Schönheit des Weltalls untrennbar verwebt. Die Son- derung der mechaniſchen Naturerklärung aus dieſem Zuſammen- hang des Lebens, in welchem uns die Natur gegeben iſt, hat erſt den Zweckgedanken aus der Naturwiſſenſchaft ausgeſtoßen. Er bleibt jedoch in dem Zuſammenhang des Lebens, welchem die Natur gegeben iſt, enthalten, und wenn man die Teleologie im Sinne der Griechen als dies Bewußtſein von dem gedanken- mäßigen, unſerem inneren Leben entſprechenden ſchönen Zuſammen- hang erkennt, iſt dieſe Idee von Zweckmäßigkeit im Menſchen- geſchlechte unzerſtörbar. In den Formen, Gattungen und Arten der Natur bleibt ein Ausdruck dieſer immanenten Zweckmäßigkeit enthalten und wird ſelbſt von dem Darwiniſten nur weiter zu- rückgeſchoben. Auch ſteht dieſes Bewußtſein der Zweckmäßigkeit in einem inneren Verhältniß zu der Erkenntniß der Gedankenmäßig- keit der Natur, kraft welcher in ihr nach Geſetzen Typen hervor- gebracht werden. Dieſe Gedankenmäßigkeit iſt aber ſtreng beweis- bar. Denn gleichviel wovon unſere Eindrücke Zeichen ſind, der Verlauf unſeres Naturwiſſens vermag, die Koexiſtenz und Succeſſion dieſer Zeichen, welche in einem feſten Verhältniß zu dem im Willen gegebenen Anderen ſtehen, in ein Syſtem aufzulöſen, welches den Eigenſchaften unſeres Erkennens entſpricht. Mit der Macht einer unwiderſtehlichen Naturerſcheinung hat ſich zugleich mit der Durchführung der mechaniſchen Naturer-

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/496>, abgerufen am 05.12.2024.