Die Widersprüche der mittelalterlichen Metaphysik sind unauflöslich.
spruch zwischen einem solchen von uns ersonnenen Wesen und dem Schöpfer Himmels und der Erde hervortritt. Eitle Träume! -- Occam läßt für den rationalen Zusammenhang keinen Schlupf- winkel in Gott übrig.
Wie sollte, nachdem die Allgemeinbegriffe als Schöpfungen der Abstraktion anerkannt sind, ein Dasein derselben in Gottes Verstande abgesondert von dem Willen, als dem Erklärungsgrund der einzelnen Dinge, gedacht werden können? Eine solche An- nahme wiederholt nur den Irrthum von einem System der Ge- setze und Ideen, welches, der Wirklichkeit vorausgehend, dieser seine Gebote auflege. Gesetze sind nur abstrakte Ausdrücke für eine Regel der Veränderungen, Allgemeinbegriffe Ausdrücke für das im Kommen und Gehen der Objekte Verharrende. Verlegt man dagegen den Ursprung dieses Systems von Ideen und Gesetzen in die That Gottes, so entsteht der andere Widersinn, daß der Wille Wahrheiten schafft. Es giebt eben hier keine metaphysische, sondern nur eine erkenntnißtheoretische Auflösung. Die Provenienz dessen, was ich Ding, Wirklichkeit nenne, ist eine andere als die Pro- venienz dessen, was ich als Begriffe und Gesetze, sonach als Wahr- heiten im Denken entwickle, zu dem Zwecke entwickle, diese Wirk- lichkeit zu erklären. Indem ich von dieser Verschiedenheit des psy- chologischen Ursprungs ausgehe, kann ich zwar die Schwierig- keiten nicht auflösen, aber ihre Unauflösbarkeit erklären und die Fragestellung, in der sie entstanden, als eine unrichtige nachweisen.
Wie sollte der Streit, ob Gott die Welt, wie sie ist, ge- schaffen, weil sie so gut ist, oder ob sie gut ist, weil er sie so schuf, geschlichtet werden können? Jede Erörterung dieser Fragen setzt einen Gott, der will, aber in dem das Gute noch nicht ist, oder einen solchen, in dem die intelligible Welt des Guten ist, der aber noch nicht will. Weder jener noch dieser ist ein wirk- licher Gott, und so ist diese Metaphysik nur ein Spiel der Ab- straktionen.
Dilthey, Einleitung. 27
Die Widerſprüche der mittelalterlichen Metaphyſik ſind unauflöslich.
ſpruch zwiſchen einem ſolchen von uns erſonnenen Weſen und dem Schöpfer Himmels und der Erde hervortritt. Eitle Träume! — Occam läßt für den rationalen Zuſammenhang keinen Schlupf- winkel in Gott übrig.
Wie ſollte, nachdem die Allgemeinbegriffe als Schöpfungen der Abſtraktion anerkannt ſind, ein Daſein derſelben in Gottes Verſtande abgeſondert von dem Willen, als dem Erklärungsgrund der einzelnen Dinge, gedacht werden können? Eine ſolche An- nahme wiederholt nur den Irrthum von einem Syſtem der Ge- ſetze und Ideen, welches, der Wirklichkeit vorausgehend, dieſer ſeine Gebote auflege. Geſetze ſind nur abſtrakte Ausdrücke für eine Regel der Veränderungen, Allgemeinbegriffe Ausdrücke für das im Kommen und Gehen der Objekte Verharrende. Verlegt man dagegen den Urſprung dieſes Syſtems von Ideen und Geſetzen in die That Gottes, ſo entſteht der andere Widerſinn, daß der Wille Wahrheiten ſchafft. Es giebt eben hier keine metaphyſiſche, ſondern nur eine erkenntnißtheoretiſche Auflöſung. Die Provenienz deſſen, was ich Ding, Wirklichkeit nenne, iſt eine andere als die Pro- venienz deſſen, was ich als Begriffe und Geſetze, ſonach als Wahr- heiten im Denken entwickle, zu dem Zwecke entwickle, dieſe Wirk- lichkeit zu erklären. Indem ich von dieſer Verſchiedenheit des pſy- chologiſchen Urſprungs ausgehe, kann ich zwar die Schwierig- keiten nicht auflöſen, aber ihre Unauflösbarkeit erklären und die Frageſtellung, in der ſie entſtanden, als eine unrichtige nachweiſen.
Wie ſollte der Streit, ob Gott die Welt, wie ſie iſt, ge- ſchaffen, weil ſie ſo gut iſt, oder ob ſie gut iſt, weil er ſie ſo ſchuf, geſchlichtet werden können? Jede Erörterung dieſer Fragen ſetzt einen Gott, der will, aber in dem das Gute noch nicht iſt, oder einen ſolchen, in dem die intelligible Welt des Guten iſt, der aber noch nicht will. Weder jener noch dieſer iſt ein wirk- licher Gott, und ſo iſt dieſe Metaphyſik nur ein Spiel der Ab- ſtraktionen.
Dilthey, Einleitung. 27
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Die Widerſprüche der mittelalterlichen Metaphyſik ſind unauflöslich.
ſpruch zwiſchen einem ſolchen von uns erſonnenen Weſen und
dem Schöpfer Himmels und der Erde hervortritt. Eitle Träume! —
Occam läßt für den rationalen Zuſammenhang keinen Schlupf-
winkel in Gott übrig.
Wie ſollte, nachdem die Allgemeinbegriffe als Schöpfungen
der Abſtraktion anerkannt ſind, ein Daſein derſelben in Gottes
Verſtande abgeſondert von dem Willen, als dem Erklärungsgrund
der einzelnen Dinge, gedacht werden können? Eine ſolche An-
nahme wiederholt nur den Irrthum von einem Syſtem der Ge-
ſetze und Ideen, welches, der Wirklichkeit vorausgehend, dieſer ſeine
Gebote auflege. Geſetze ſind nur abſtrakte Ausdrücke für eine
Regel der Veränderungen, Allgemeinbegriffe Ausdrücke für das im
Kommen und Gehen der Objekte Verharrende. Verlegt man
dagegen den Urſprung dieſes Syſtems von Ideen und Geſetzen in
die That Gottes, ſo entſteht der andere Widerſinn, daß der Wille
Wahrheiten ſchafft. Es giebt eben hier keine metaphyſiſche, ſondern
nur eine erkenntnißtheoretiſche Auflöſung. Die Provenienz deſſen,
was ich Ding, Wirklichkeit nenne, iſt eine andere als die Pro-
venienz deſſen, was ich als Begriffe und Geſetze, ſonach als Wahr-
heiten im Denken entwickle, zu dem Zwecke entwickle, dieſe Wirk-
lichkeit zu erklären. Indem ich von dieſer Verſchiedenheit des pſy-
chologiſchen Urſprungs ausgehe, kann ich zwar die Schwierig-
keiten nicht auflöſen, aber ihre Unauflösbarkeit erklären und die
Frageſtellung, in der ſie entſtanden, als eine unrichtige nachweiſen.
Wie ſollte der Streit, ob Gott die Welt, wie ſie iſt, ge-
ſchaffen, weil ſie ſo gut iſt, oder ob ſie gut iſt, weil er ſie ſo
ſchuf, geſchlichtet werden können? Jede Erörterung dieſer Fragen
ſetzt einen Gott, der will, aber in dem das Gute noch nicht iſt,
oder einen ſolchen, in dem die intelligible Welt des Guten iſt,
der aber noch nicht will. Weder jener noch dieſer iſt ein wirk-
licher Gott, und ſo iſt dieſe Metaphyſik nur ein Spiel der Ab-
ſtraktionen.
Dilthey, Einleitung. 27
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/440>, abgerufen am 22.11.2024.
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